Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Dabei hatte ich dieses Diebsgesindel nie schlecht behandelt!
Natürlich, die Lage unter dem Himmel war so, den Reichen ging es schlecht und die Armen wurden zu Herren. Aber ich war überzeugt, dass das weiter keine Rolle spielte, denn es war doch nicht nur meine Familie, deren Hab und Gut verteilt wurde – so war das eben, wenn eine Dynastie von einer anderen abgelöst wurde, Hauptsache, man blieb am Leben! Kommt Zeit, kommt Rat. Also ermahnte ich meine Frau, nicht den Weitblick zu verlieren und sich etwas anzutun. Wenn die Kinder groß seien und eine klare Klassenlinie zwischen sich und ihren Eltern ziehen wollten, dann wäre das ebenso in Ordnung, wie wenn sie ausfliegen würden, um in der Fremde einer Arbeit nachzugehen, das liege ganz bei ihnen.
Gegen Ende der Agrarreform suchte mich der Arbeitsgruppenleiter auf und wollte mit mir sprechen. Er lobte meine aktive und kooperative Haltung. Mein Herz fühlte sich an wie rohes Fleisch, aber mir blieb nur der Part, mich zu verbeugen und mit dem Kopf zu nicken. Was ich allerdings überhaupt nicht verstand, war, dass mein Bruder Zhou Shugui, dieser Verschwender, plötzlich als mittelloser Bauer galt! Auf welchen Wegen er zu einem Habenichts geworden war, das kümmerte natürlich niemanden. In der ersten Zeit nach der Befreiung hat er tatsächlich gebettelt! Er stand am Weg und sang das Lied von der welken Lotusblume, das ist eine in unserer Gegend sehr beliebte alte Ballade. Wenn die Kommunistische Partei nicht gewesen wäre, er wäre längst verhungert gewesen. Aber jetzt stand alles Kopf. Er war oben, ich war unten. Er bestieg sogar das Rednerpult und bekämpfte mich, schlug mir ins Gesicht, beschimpfte mich als miesen Schweinehund und riss sich nicht nur das Land unter den Nagel, sondern brachte auch Frau und Kinder in seine Gewalt. Es war wirklich ein himmelschreiendes Unrecht! Das ganze Dorf wusste, dass ich mich von meinem Bruder losgesagt hatte, schriftlich losgesagt hatte, dass ich darauf bedacht war, Tugend zu sammeln und gut zu handeln, und an seiner Statt seine Frau und Kinder durchbrachte, aber nicht einer ist aufgestanden und hat der Wahrheit die Ehre gegeben! Ich war ohnmächtig vor Wut, über Nacht waren vier Familien in unseren Viereckhof eingezogen, unsere große Familie wurde in einem Ohrgebäude zusammengetrieben, immerhin, das Mittelzimmer wurde nicht abgerissen, ich konnte weiter, wenn auch heimlich, mein Räucherwerk opfern. Aber Zhou Shugui nahm drei große Zimmer im rechten Flügel in Besitz! Auf einen Schlag hatte er Haus, Land und Familie und war ein wohlhabender Mann. Wer hätte gedacht, dass sich das Glück eines Opiumsüchtigen so wenden konnte!
Wenn ich ihn im Hof herumstolzieren sah, stockte mir der Atem, aber wenn man nicht hinschaut, sieht man nichts, so gingen die Tage ins Land, und ich ergab mich in mein Schicksal. Wenn wir uns privat begegneten, fragte Zhou Shugui oft: »Na, Tugendbold, jetzt hast du dein Leben lang geschuftet wie ein Ochse, und hast du das Erbe der Ahnen bewahren können?«
»Ich bin Grundherr, du bist ein armer Bauer, wir wollen doch eine klare Klassenlinie zwischen uns ziehen!«, gab ich ihm zur Antwort.
Er sagte: »Mein Lieber, aber mein Reich kommt aus der Opiumpfeife, ohne das Opium hätte es mit dir und mir kein gutes Ende genommen.«
LIAO YIWU:
Da hat Euer Bruder Euch die glorreichen neuen Zeiten vor Augen geführt. Wie es aussieht, ist es gar nicht so einfach, drei Generationen armer Bauern auf dem Land zu finden.
ZHOU SHUDE:
Eine Familie war im Handumdrehen heruntergewirtschaftet, und wenn es einem gutging, dann musste man sehen, dass aus jeder Generation ein fähiger Mann hervorging. Land und Vermögen wurde langsam, Stück für Stück und halbes Mu um halbes Mu, zusammengebracht. Über dem Zusammenbringen von ein paar tausend Mu vergingen, wenn man nicht achtgab, schnell zig Jahre, wenn es nicht den Schweiß und das Blut von ein paar Generationen kostete. Bergab ging es schnell, man hatte es kaum ausgesprochen, schon war alles weg. Deshalb ist es einfach, auf dem Land Familien zu finden, die seit drei Generationen arm sind, seltener sind schon die, denen es drei Generationen lang gutging.
LIAO YIWU:
Und was habt Ihr in der Folgezeit getan?
ZHOU SHUDE:
Im Land gab es so viele Grundherren und Rechtsabweichler, mir ging es nicht anders als ihnen. Seit die Arbeitsgruppen der Agrarreform weg waren, habe ich hier in diesem Haus gewohnt. Das Unglück geht zum Mund hinaus …, solange man wenig sagt,
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