Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
Handarbeit zu machen. Das war in der alten Gesellschaft unmöglich. Von elektrischem Licht und Fernsehen gar nicht zu reden, gab es Fleisch nur einmal in der Woche. Wule hat mir erzählt, dass die Verbrecher im Gefängnis heute zweimal in der Woche Fleisch bekommen. Mein Großvater und mein Vater waren beide Schlammfüßler, sie sind mit sechzig, siebzig noch mit den Lohnarbeitern aufs Feld gegangen. Manchmal war der Ochse so erschöpft, dass er Blut gespuckt hat, dann haben sie halt selber den Pflug gezogen. Ein auf diese Weise zusammengebrachtes Familienvermögen war etwas anderes als heute, wo die Frauen und Männer mit leeren Händen zur Arbeit in die Städte ziehen und nach ein paar Jahren in Brokat gekleidet wiederkommen und ein neues Haus bauen, das ist wie Zauberei. Wenn es noch so wäre wie während der Bodenreform, dann bestünde die Hälfte des Dorfes aus Grundherren und reichen Bauern. Wules Vater hat in der Provinzhauptstadt unterrichtet, und sein Junge hat die Universität besucht, ich habe gehört, er ist sogar ein Doktor. Früher hat man in der ganzen Kreishauptstadt von keinem Doktor gehört. Der Lehrer von der privaten Dorfschule mit ihrer einen Klasse hat gesagt, Hu Shi [79] war ein Doktor, sogar der Kaiser hat ihn einmal empfangen, um ihn um Rat zu fragen, stell dir vor, wie groß das Wissen von so einem Doktor sein muss! Das ist bestimmt der Segen der Ahnen. Mein kleiner Enkel ist auch ein Doktor, er wohnt in Peking, und, wer weiß, das Zentralkomitee wird ihn oft um Rat fragen. Kang Youwei sagt, innerhalb unserer Küsten sind wir eine Familie.
Und was diese Angriffe angeht und dass früher alles schlechter war, das war die erste Phase des Sozialismus, ich habe das alles verstanden. Die Alten sagen: »Erst wer das Bittere im Bitteren ausgeschöpft hat, wird zu einem Menschen.« Ich bin ein alter Narr, ich muss Geduld haben und versuchen, meinen Kindern und Enkeln auf ihrem schweren Weg zu helfen. Am Anfang stiegen meine beiden Landarbeiter auf die Bühne und klagten mich an, ich hätte sie ausgebeutet, ich hätte sie in den kalten Wintermonaten aufs Feld gezwungen und ihnen ihren Lohn unterschlagen. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, denn ich war mit ihnen zusammen auf dem Feld, die neue Gesellschaft hatte nicht gesagt, dass man im Winter nicht arbeiten darf. Nach und nach wurde mir klar, das war Schicksal, die Welt besteht aus guten und aus schlechten Menschen. Wenn man es nicht schafft, ein guter Mensch zu sein, dann kommt man wohl oder übel zu dem Haufen der Schurken. Auch wenn ich kleiner Grundbesitzer kein schlechter Mensch werden wollte, ich hatte schon lange keine Dokumente mehr über meinen Besitz, die ich im Falle eines Umsturzes hätte vorweisen können. Aber oben hatte man die noch, im Falle einer Restauration oder eines kapitalistischen Umsturzes brauchte man die noch. Wie Gao Gang [80] zum Beispiel, wie Peng Dehuai zum Beispiel, wie Liu Shaoqi, wie Lin Biao, wie die Vierer-Bande, ich war immer ihr braver Sohn und treuer Enkel. Du brauchst gar nicht zu lachen, in der Kulturrevolution gab es die Parole »Nieder mit Zhou Shude, dem braven Sohn und treuen Enkel Liu Shaoqis«. Ich kannte diese großen Männer gar nicht, aber man behauptete, ich sei verwandt mit ihnen, ich war sogar verwandt mit Deng Xiaoping, er hat uns die Mützen abgenommen, ich hätte für ihn einen Ochsen oder ein Pferd gemacht, von Sohn und Enkel gar nicht zu reden.
LIAO YIWU:
Nun sind wir schon so weit mit unserem Gespräch, dass ich weiß, dass Ihr, Großvater, ein großes Herz habt, Ihr kennt das Schicksal und wisst Euch zu bescheiden, kein Wunder, dass Ihr ein so hohes Alter genießt.
ZHOU SHUDE:
Ich werde in diesem Jahr neunundachtzig Jahre alt, ich bin es längst satt, das Leben, aber was soll ich machen, je mehr ich mir den Tod wünsche, umso weniger will er mir gelingen. Der Zypressenholzsarg im Mittelzimmer steht dort schon über zwanzig Jahre, und ich kann immer noch nicht sterben. Und das ist schon der dritte Sarg, in die zwei ersten haben sich Termiten eingenistet, die Särge sind alle vor mir gestorben. Der Fengshui-Meister war ein paar Mal hier und hat mich gelobt, das sei ein guter Ort, die Ohrengebäude lägen genau an der Südostecke, damit sei das Fengshui von Nordwesten ganz gedeckt, deshalb sei jemand wie ich trotz seiner Einstufung als Grundherr doch so alt geworden. Und am Ende werde es eine Wende geben. Aber dieses Glück sollte nicht ich alter Mann haben, der kein Ende finden kann,
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