Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
habe ein großer Kessel gestanden, in den sich die Leute hineinhängen mussten, um auf den Boden zu kommen. Unten habe das Wasser gekocht, darüber auf einem Holzgestell sei der Reis gedämpft worden und dann all das verschiedene Geschirr, das die Schüler selbst mitgebracht hätten. Der Deckel für den Kessel sei normalerweise an den Dachbalken unter der Saaldecke gehängt und erst dann der Reis hineingetan worden. Die Schüler hätten Mahlzeit für Mahlzeit zum Reis eine Wassersuppe mit Gemüse gegessen, auf der nicht ein einziges Fettauge geschwommen sei. Wenn es so weitergegangen wäre, hätten alle eine Schilddrüsenüberfunktion bekommen, außerdem hätte in der Schule der Schwarzhandel geblüht, Lehrer und Schüler hätten so viel Getreide eingebracht, aber es sei nie auch nur ein Körnchen übrig geblieben.
Während an diesem Märchen vom überirdischen Pfirsichblütenparadies festgehalten wurde, war meine tiefste Empfindung natürlich der Hunger. Einmal in der Woche ging der Küchenbulle sehr frühzeitig aus dem Haus, zum Markt, und kaufte für die Lehrer pro Kopf zwei Liang Fleisch, heute würde man sagen hundert Gramm. Am Sonntagabend versammelte sich alles in der kleinen Kantine, stellte die Schale auf den Tisch, wartete, bis der Küchenchef seinen Namen aufrief und das Fleisch zuteilte. Der Küchenbulle hatte die Fleischzuteilung zu einer Kunst entwickelt, es durfte kein Scheibchen Fleisch zu viel sein und kein Scheibchen zu wenig, selbst Öl und Gemüse wurde möglichst gleich verteilt. Damals nämlich wurde jede Drehung des Amtssiegels mit vielen Luchsaugen verfolgt. Wenn jemand nur an sich dachte, dann wurde gehustet, um darauf aufmerksam zu machen.
Die Schale mit dem Fleisch wurde einem in die Hand gedrückt, jeder schüttelte das Ganze instinktiv einmal auf und streckte dann die andere Hand aus, um sich in die zweite Schale den Reis geben zu lassen, pro Mann drei Liang, also 150 Gramm. Das war die Zeit der Planwirtschaft und der genormten Getreideration von siebenundzwanzig Pfund, da gab es kein Vertun. Um das Leben zu verbessern, schwärmten die Lehrer nachts in Scharen aus, um Frösche zu fangen. Es dauerte nicht lange und sie hatten einen großen Eimer voll, den Fröschen wurde die Haut abgezogen und sie wurden in Wasser gekocht, besonders frisch.
LIAO YIWU:
Wie haben Sie bei all dem Durcheinander noch unterrichtet?
HUANG ZHIYUAN:
Das fragst du mich? Und wen soll ich fragen? In diesen Jahren gab es im Grunde keinen geregelten Unterricht, es genügte, wenn man die oberste Direktive erläuterte, dann machte man auf alle Fälle nichts falsch. Was auch immer der Vorsitzende Mao gesagt hatte, es war nichts über Physik und Chemie dabei, also hütete ich mich, etwas Falsches von mir zu geben. Dein Vater hingegen war Sonderlehrer, er sprach über Tao Zhus [93] »Die Haltung der Kiefer«, in dem er die Haltung eines aufrechten Kommunisten mit der Haltung einer Kiefer verglich. Daran haben sie sich später aufgehängt und deinen Vater zu Beginn der Kulturrevolution zur »Konterrevolution« gerechnet. Ach, was sind wir für eine heruntergekommene Generation, der Punkt, an dem meine Frau und ich uns trafen, war das Essen. Sie war eine Bäuerin aus der Gegend, Grundschulbildung, sie bediente auf dem Hof der Lius die Nudelpresse. Als ich begann, mir dort Fadennudeln pressen zu lassen, ließ ich mich von ihr oft mit einer Handvoll Nudeln bestechen. Als wir dann verheiratet waren, war sie angewidert, weil ich angeblich die Nudeln zu laut einsog, »das hört man ja meilenweit!«
LIAO YIWU:
Und Sie als Universitätsabsolvent haben nicht von oben auf sie herabgesehen?
HUANG ZHIYUAN:
Ich war eine stinkende Nummer neun, ich war schon über dreißig, eine Ware, die kein Mensch mehr wollte. Und sie war damals eine Blüte der Produktionsgruppe und landauf, landab begehrt. Wir hielten das Ganze über ein Jahr geheim, dann machten wir es öffentlich. Als ihr Vater sah, dass da frischer Reis zu reifem Reis gekocht wurde, stöhnte er etwas von Blume auf dem Misthaufen. Aber das Sprichwort hat ganz recht: »Liebe geht durch den Magen.«
Der Leichenschminker
Das Bestattungsinstitut von Chengdu liegt auf der Ostseite der Straße der Massen, ich habe dort einmal von einem befreundeten Dichter Abschied genommen. Neben dem Institut steht ein gar nicht mal so kleines Teehaus, es ist baufällig, aber das Geschäft floriert. Die Gäste bestehen zu achtzig Prozent aus alten Leuten. Man erzählt sich, hier sei eine alte
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