Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
ihm entging nichts und niemand, und er hatte schnell den Spitznamen »das Radarauge« weg.
ZHANG DAOLING:
Ihr Vater hatte es nicht leicht.
LIAO YIWU:
Reden wir nicht davon, das ist alles schon so lange her. Wie ging es weiter, haben Ihre Fachkenntnisse weiter brachgelegen?
ZHANG DAOLING:
Später wurde das Beerdigungsinstitut um eine spezielle Trauerhalle erweitert, von dort führte eine Seitentür zu einem Zimmer, wo die Leichen hergerichtet und geschminkt wurden. Als die Naturkatastrophen vorbei waren, konnten uns die Sowjetrenegaten nicht mehr die Luft abdrücken und auch die Arbeit im Institut verlief wieder in normalen Bahnen. Damals gab es auch für das Schminken von Leichen eine Rangordnung, wer gebildet war und Geld hatte, legte Wert auf ein natürliches Aussehen. Was einfache Leute waren, für die war selbst die Trauerhalle verboten, also hielten sie eine Abschiedszeremonie ab, und auch das Schminken wurde vereinfacht bis auf das Waschen des Gesichts und Kämmen der Haare, in die Mundhöhle wurde etwas Watte gesteckt und dann wurde noch etwas Rouge aufgetragen.
LIAO YIWU:
So einfach?
ZHANG DAOLING:
Ich war noch nicht fertig! Wichtig war die gesellschaftliche Stellung des Toten zu Lebzeiten. Bei einer vollständigen Schminke musste die Leiche erst einmal innen und außen gründlich gewaschen werden, dann wurde ein spezielles Parfum versprüht, gegen die Verwesung, sie wurde neu eingekleidet und die Haare wurden geschnitten. Dann musste man die freien Hautpartien ein wenig massieren, angefangen von der Stirn, den Wangen, den Lippen, dem Hals bis zu den Händen, das musste mehrfach wiederholt werden, bis man den Toten sozusagen zum Leben erweckte und die Haut so voller Elastizität war wie bei einem lebendigen Menschen. Dann wurde auf diese Partien eine Schicht Öl aufgetragen, damit sie auch glänzten; erst danach machte man sich an das Schminken des Gesichts, der Rhythmus durfte nicht zu hastig und auch nicht zu langsam sein. Die Farbe musste gleichmäßig verteilt werden, besonders wichtig waren die Brauen, die Mundwinkel und die Nasenflügel, aber die Schlüsselstelle waren und blieben die Augen, hier entschied es sich, ob man den Menschen das Gefühl geben konnte, ihr Angehöriger schlafe einen friedlichen Schlaf. Sie müssen sich vorstellen, dass die Toten in der Regel zwei, drei Tage bei ihren Familien bleiben mussten, damit man ein Seelenzelt aufbauen und die entsprechenden Riten durchführen konnte! Wenn sie dann zu uns kamen, waren ihre Glieder starr, die Wangen eingefallen, die Gesichtsfarbe war graugrün, und wenn es dann auch noch heiß war, entwickelten sich dazu noch ziemliche Gerüche. Wenn dann die Verwandten auf einer Abschiedszeremonie und auf einer Gesichtsbehandlung bestanden, war das verhältnismäßig schwierig. Deshalb muss man in besonders guter geistiger und körperlicher Verfassung sein, wenn man diesen Beruf ausüben will. Man muss sezieren wie ein Arzt, man weiß nicht, wie lange der Körper wo gelegen hat, und man muss doch versuchen, einem gewaltsam ums Leben gekommenen Menschen mit verzerrtem Mund langsam sein normales Aussehen wiederzugeben und ihn lächeln lassen.
LIAO YIWU:
Für diesen Beruf braucht man einiges an Courage!
ZHANG DAOLING:
Von Courage will ich gar nicht mal reden, es ist Übung, wenn etwas nicht gelungen ist, fängt man von vorne an, die Erfahrung kann wahre Wunder vollbringen. Viele Schriftsteller haben über Leichenhallen geschrieben, ich habe dort so viele Jahre verbracht, von wegen großartige Geschichten und Geister und Gespenster! In der Kulturrevolution wollten sie mir Angst einjagen, sie haben im Schutz der Nacht eine bereits fertig hergerichtete Leiche weggeschleppt und sie vor das Bereitschaftszimmer gestellt. Als ich dann mitten in der Nacht herauskam, um aufs Klo zu gehen, kam mir das Ding mit einem Summen entgegengefallen und nagte an mir, Mund an Mund. Damals war ich vor Schreck ganz konfus, glücklicherweise war ich an einen solchen Anblick gewöhnt und habe nicht an Geister oder Ähnliches geglaubt. Ich fing die Leiche auf, gab ihr zwei Ohrfeigen, brachte sie zurück und schloss sie sorgfältig ein. Aber irgendwelche anderen Empfindungen habe ich nicht gehabt, außer dass ich einen ziemlichen Formalingeschmack im Mund hatte und eine Weile mit Mundspülen und Zähneputzen beschäftigt war.
LIAO YIWU:
Mir stehen ja schon so die Haare zu Berge, aber Ihnen scheint das nichts auszumachen.
ZHANG DAOLING:
Das ist Veranlagung, ich war
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