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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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schon immer so. Während der Kämpfe in der Kulturrevolution ging es auch bei uns hoch her, an drei Tagen hatten wir zwei Tote, sie kamen zu uns, eingewickelt in rote Fahnen, und die Rotgardisten zwangen uns mit vorgehaltenem Gewehr, ihre Kameraden herzurichten und zu schminken. Einige Leichen waren in den Weiher gefallen, das Wasser hatte sich schon ganz rot gefärbt. Man fischte sie heraus, die Löcher, die die Bohrstangen in die Körper gestoßen hatten, verschmierten wir mit einer Kautschukmasse und zogen ihnen Uniformen an. Ein Anführer der Roten Garden, der anscheinend von seinem Gegner ein Messer in die Brust bekommen hatte, hatte im Todeskampf mit den Zähnen geknirscht, die Augen waren aus den Höhlen getreten, ich habe einen halben Vormittag vergeblich versucht, sie zurückzudrücken. Also habe ich sie mit einer großen Klammer geschlossen und fixiert. Sein Mund allerdings war fester verschlossen als ein Stadttor, ich habe ihn nicht einmal mit einem Schraubenzieher aufbrechen können, also beseitigte ich die Mundwerkzeuge und habe ihm die Schneidezähne herausgebrochen, was sollte ich machen.
    LIAO YIWU:
    Das war ja Schlosserarbeit!
    ZHANG DAOLING:
    Nicht wahr!? Aber bei meiner Schlosserarbeit hat nicht viel gefehlt, und ich wäre von dem Geruch dieses Vogelschnabels ohnmächtig geworden. Als ich eine Zahnbürste hernahm, kam ein ganzes Nest von Maden heraus, was einmal die Zunge gewesen war, war vollständig verwest. Ich stürzte auf der Stelle an die frische Luft, schließlich bin ich wieder zurück, habe ihm sorgfältig die Zähne geputzt und ihm Becher für Becher von dem Antiverwesungsmittel hineingeschüttet, das hatte mit Schminken nichts mehr zu tun, das war Kloputzen. Ich brauchte einen ganzen Nachmittag bis ich auf dieses wutverzerrte Gesicht das Lächeln gezaubert hatte, das alle kannten. Die Rotgardisten waren von meiner Sorgfalt richtig gerührt und wollten mir unbedingt ihre rote Armbinde anheften, schrien etwas wie »von der arbeitenden Klasse lernen« und wollten mich zum Parteimitglied machen.
    LIAO YIWU:
    Ich bin auch ganz gerührt. Aber in der Regel dürften die Angehörigen der Toten, wenn sie zu Ihnen kamen, doch tief in ihrem Abschiedsschmerz befangen und nur ganz wenige in der Verfassung gewesen sein, an den Zauberer zu denken, der an den verwesenden Körpern solche Wunder vollbrachte. Auch in den Zeitungen wird sehr selten davon berichtet, als ob Sie selbst gar nicht gewollt hätten, dass man etwas über Ihr wirkliches Leben erfährt.
    ZHANG DAOLING:
    Uninteressant. Selbst wenn wir dann ein höheres Gehalt bekommen hätten, selbst wenn die Reporter sich nach Kräften bemüht hätten, uns zu Stars hochzujubeln, niemand hätte uns um diese Stelle beneidet. Letztes Jahr habe ich mir ein Warenlager gekauft, ich bin umgezogen, in eine neue Umgebung, und habe zu all den alten Nachbarn, mit denen ich von klein auf vertraut war, die Verbindung abgebrochen. Draußen weiß jetzt niemand mehr, was für einen Beruf ich einmal gehabt habe, und Sie sollten auch nicht mit meinem wirklichen Namen hausieren gehen, sonst werde ich Sie vor den Kadi zerren.
    LIAO YIWU:
    Ist das so wichtig? Und wenn ich Ihren richtigen Namen und Ihre Einheit verschweige?
    ZHANG DAOLING:
    Nichts dagegen, solange man zu mir keine Verbindung herstellen kann. Einmal hat eine Freundin meines Sohnes, keine Ahnung, wie sie erfahren hat, was ich einmal gemacht habe, ums Verrecken nicht mehr zu uns ins Haus kommen wollen. Sie hatte solche Angst, dass sie die rechte Hand, die sie mir gegeben hatte, wusch und schrubbte, als gelte es ihr Leben. Jedenfalls hat man mir das erzählt. Ein Glück, dass ich einen braven Jungen habe, er begriff, dass die ganze Familie von dem abhängt, was der Vater nach Hause bringt, und hat keinen Ärger gemacht. Ach, jeder muss doch sterben, aber solange sie am Leben sind, will keiner an den Tod denken oder sie gehen ihm instinktiv aus dem Weg. Das verstehe ich, denn selbst als ich noch Leichenschminker war, habe ich mich um den Tod nicht gekümmert, ich habe nur an die Arbeit gedacht.
    LIAO YIWU:
    Sie haben sozusagen die irdische Trennung von Freude und Trauer überwunden und ein Leben am Rande der Gesellschaft geführt? Ich habe einmal in einem Film aus Hongkong eine ähnliche Geschichte gesehen: Ein alter Mann, der über eine Totenhalle die Aufsicht hat, ist betrunken und kann die Leichen nicht mehr genau zählen, bis ihm schließlich eine der Leichen eine Ohrfeige gibt.
    ZHANG DAOLING:
    Ich mag

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