Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
lassen. Die haben wir in den Sechzigern gekauft, als ich gerade in den Bezirk kam, Papier und Druck sind besonders gut, die späteren Bilder der Vorsitzenden lassen von der Qualität her ein wenig zu wünschen übrig, und auch die Farben sind ein bisschen blass.
LIAO YIWU:
Wenn man sich die anschaut, dann ist das wirklich der alte Duft, die alten Farben.
MI DAXI:
Das ist dreißig Jahre her.
LIAO YIWU:
Das sind schon Antiquitäten. Leider hängen sie zu dicht aufeinander, die Wand ist zu eng, warum bitten Sie nicht die hohen Herren auf die andere Seite?
MI DAXI:
Es gibt Regeln, wie man die Bilder der Vorsitzenden darbietet, das geht nur gegenüber dem Eingang.
LIAO YIWU:
Dann staffeln Sie sie doch ein wenig.
MI DAXI:
Meinst du, das ist dasselbe wie Starfotos aufhängen? Meinst du, es ist egal, wer oben, wer unten, wer rechts, wer links ist und wer schief und wer auf dem Kopf steht? Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao sind gleichbedeutend, man darf sie nur auf einer Linie aufhängen. Sonst macht man einen Fehler.
LIAO YIWU:
Direktor Mi, Sie machen mich ganz nostalgisch. Das ist ja ein Museum hier, hier drin ist die Zeit stehen geblieben, ich werde mir noch etwas Zeit nehmen und die Aufschriften auf den Wimpeln, die hier hängen, studieren.
MI DAXI:
Der Vorsitzende Mao hat gesagt: »Ruh dich nicht auf deinen Lorbeeren aus, erwirb dir neue Verdienste!« Nur schade, dass diese ehrenvolle Sache von niemandem weitergeführt wird. Die Arbeit des Einwohnerkomitees wird auch immer schwieriger. Schau her, das ist ein Tonbandgerät mit eingebautem Mikro, diese Sprechanlage ist eine Auszeichnung, die wir für die fortschrittliche Arbeit des Einwohnerkomitees bekommen haben, die hat uns der Sekretär des Bezirkskomitees eigenhändig überreicht. Die Jungen heute wollen so etwas nicht mehr machen, also machen ein paar Alte wohl oder übel abwechselnd den Nachrichtensprecher. Die sehen nicht mehr gut und stottern herum, oft machen sie Fehler. Früher haben wir allein für die Verlesung der Zeitung und der Parteidokumente drei Stunden gebraucht, heute ist unsere Zeit zusammengeschrumpft, morgens von halb sieben bis halb acht, mittags von zwölf bis eins und abends von acht bis neun. Neben den Lesungen und der Musik haben wir noch eine Wettervorhersage und mündliche Meinungsäußerungen.
LIAO YIWU:
Was für Meinungen?
MI DAXI:
Am Morgen fangen wir zum Beispiel mit dem Lied »Der Osten ist rot« an (manchmal war es auch »Geschichten des Frühlings«), danach werden die Genossen, die auf dem Weg zur Arbeit sind, auf den Verkehr hingewiesen und ermahnt, beim Autofahren und als Fußgänger auf die Sicherheit zu achten; sie sollen nicht auf die Schnelle frühstücken, damit sie nicht unterzuckern; die Alten und Ruheständler sollen nicht zu lange schlafen, und wenn sie aufstehen, sollen sie auf ein paar Punkte achten. Und die jungen Genossen, die wegen Umstrukturierungen freigesetzt wurden, sollen fleißig sein und sich nicht selbst aufgeben. Am Mittag bringen wir dann Nachrichten aus dem In- und Ausland, die übernehmen wir vom Zentralfernsehen; am Abend müssen wir dann Bekanntmachungen zur Beruhigung der Bevölkerung bringen. Wir ermahnen sie, das Gas abzustellen, Fenster und Türen zu schließen gegen Feuer, gegen Diebe, früh ins Bett zu gehen und früh aufzustehen; die Massen sollen das Glücksspiel bleibenlassen und auf Fremde achten. Außerdem bringen wir Telefonnummern für Feueralarm, für Überfall und die Nummer der Störungsstelle, manchmal kommen noch Informationen zu Gesundheit und Hygiene und worauf alte Leute achten sollen, die in der Nacht rausmüssen.
LIAO YIWU:
Das ist wirklich die Wärme der großen Familie des Sozialismus.
MI DAXI:
Wenn man durch diese Tür kommt, dann ist man umgeben von Ruhm und Glanz, und man hat das Gefühl, wieder jung zu sein. Auch wenn viele junge Genossen das nicht verstehen. Sie kommen vorbei und beschweren sich wegen der Lautsprecher, das sei Ruhestörung. Ich halte dagegen und sage, das nennt ihr Ruhestörung? Aber wenn ihr euch in euren Karaokebars und Pornodiskos bis in die Morgenstunden volllaufen lasst und euch herumprügelt, das dann ist keine Ruhestörung? Ihr solltet ein wenig mehr auf mein Programm hören und ein wenig mehr von der Wirtschaft und der politischen Lage eures Landes begreifen, dann würde mehr aus euch werden, dann würdet ihr was erreichen. Ich habe lange Zeit Massenarbeit an der Basis geleistet, der Geist der Partei und des Staates ist durch
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