Fräulein Hallo und der Bauernkaiser
dieses Weibsstück, ist auf der Deng-Xiaoping-Liu-Shaoqi-Linie! Weg mit dem feudalistischen Aberglauben an Shakjamuni! Lang lebe, lang, lang lebe der Vorsitzende Mao!«
LIAO YIWU:
Und das nannte sich Rebellion? Unter dem Deckmantel des öffentlichen Interesses seine persönlichen Feinde anzugehen? Das reine Chaos.
LIU WEIDONG:
Und wir mussten dabei noch ein ernstes Gesicht machen, wenn man lachen musste, dann hat man gehustet, bis der Anfall vorbei war.
LIAO YIWU:
Haben Sie denn keine Zweifel bekommen, als die Revolution sich zu so einer Absurdität entwickelte?
LIU WEIDONG:
Ein einfacher Bürger wie ich hatte mitten in diesem Sturm so viel Macht, dass er mit seiner Dankbarkeit gar nicht mehr hinterherkam. Der stellvertretende Staatspräsident und Oberbefehlshaber der Armee hatte gesagt: »Die Worte des Vorsitzenden Mao sind Satz für Satz die reine Wahrheit, ein Satz kommt zehntausend Sätzen gleich!«
LIAO YIWU:
Aber der Vorsitzende Mao hatte nichts davon gesagt, dass junge Mönche gegen ihre Äbte rebellieren sollen.
LIU WEIDONG:
Rebellion war die stärkste Botschaft der Zeit, die Wahrheiten des Marxismus waren sehr kompliziert, aber letzten Endes bestanden sie aus einem Satz: »Die Rebellion hat recht.«
LIAO YIWU:
Das ist dann mit Recht zur »obersten Direktive« der Roten Garden geworden.
LIU WEIDONG:
Die Träume, die Begeisterung und die Romantik meiner Jugend haben alle etwas mit der Kulturrevolution zu tun. Sie können das sehen, wie Sie wollen, aber zumindest in den ersten ein bis zwei Jahren der Kulturrevolution genoss das Volk vollkommene Freiheit, sogar eine absolute Freiheit. Unfrei und unterdrückt waren nur die Parteigänger des Kapitalismus, die Kinder hoher Kader und die privilegierten Schichten. In normalen Zeiten waren die so weit oben, dass sie das Leid des Volkes gar nicht mehr sahen. Damals war alles anders als in allen politischen Bewegungen zuvor, die Welt stand auf dem Kopf und gab denen einen Geschmack davon, wie es ist, wenn einem alles von oben diktiert wird. Der Vorsitzende Mao hat auf dem Torturm am Tiananmen acht Mal Millionen von Rotgardisten empfangen, das ist ohne Beispiel in der Geschichte der kommunistischen Bewegung weltweit. Und auch ich bin in diesem roten Meer geschwommen, ich habe mit all den anderen gejubelt und geweint, und wir haben gerufen: »Lang lebe der Vorsitzende Mao!«
Und der Vorsitzende Mao hat mit seiner Mütze gewinkt und gerufen: »Lang lebe das Volk!«
Das war eine Zeit, in der die Herzen des Volkes mit dem Herzen des Führers verschmolz, wir haben stundenlang gejubelt und sind dabei unablässig herumgesprungen und haben unablässig das Rote Buch geschwenkt. Normalerweise hätten wir längst ohnmächtig werden müssen, doch in diesem Augenblick waren selbst die Mitschülerinnen mit der schwächsten körperlichen Konstitution so angesteckt, dass sie sich die Stimmen heiser schrien. Nachher brachten die meisten tagelang keinen Ton mehr heraus. Aber am schönsten war, dass wir morgens alle aus den Betten kamen, einander zunickten und zulächelten, in einem stillen Einverständnis, wie Stumme, die etwas Süßes im Mund haben. Vielleicht haben wir nur für diesen Tag, nur für diesen Augenblick gelebt.
LIAO YIWU:
Haben Sie heute immer noch das Gefühl, ein Jünger Maos zu sein?
LIU WEIDONG:
Aus welchem Grund sollte ich meine Vergangenheit verleugnen? Und diesen Abschnitt der Geschichte?
LIAO YIWU:
Verstehen Sie mich nicht falsch!
LIU WEIDONG:
Mir ist nichts geblieben außer der Kulturrevolution, was ist es denn sonst noch wert, dass man sich daran erinnert?
LIAO YIWU:
Ich verstehe, machen Sie mit Ihren Erinnerungen weiter, ich höre zu.
LIU WEIDONG:
Dass ich bei diesen großen Kundgebungen mitgemacht habe, geschah aus zwei Motiven: Einmal wollte ich Anstecker mit dem Vorsitzenden Mao darauf sammeln, und dann wollte ich ihn mit eigenen Augen sehen. Wir hatten aus Rotgardisten eine Truppe des Langen Marsches organisiert, zuerst sind wir nach Chengdu, wo wir aufgrund eines Empfehlungsschreibens umsonst in der Empfangsstation wohnten und aßen und nach der moralischen Eignung Mao-Plaketten verteilten. Um mehr von diesen Plaketten zu bekommen, haben wir falsche Zahlen angegeben, sind häufiger zur Empfangsstation gelaufen und dann wieder vor das Theater von Chengdu. Dort waren immer Menschen, dort verliefen die Diskussionsfronten der verschiedenen Rebellenfraktionen, die sich nicht einig waren, dort war der Hauptumschlagsort für das
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