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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Tauschen von Mao-Plaketten. Die gab es in allen möglichen Varianten, dort haben wir uns ein, zwei Wochen treiben lassen, haben unseren Horizont erweitert und mit vielen neuen Kampfgenossen Freundschaft geschlossen. Aber weil sich so viele gleichartige Truppen auf den langen Marsch gemacht hatten, wurden die Empfangsstationen ihrer nicht mehr Herr, selbst die Bühnen der Kinos und der Theater wurden für sie frei gemacht. In diesen Jahren war der Renminbi als Währung praktisch abgeschafft, es ging alles über Empfehlungsschreiben, damit konnte man im ganzen Land herumreisen.
    Und nach einigen Tagen des Wartens bestiegen wir einen Zug nach Peking, er war überfüllt und eigentlich hätte niemand mehr zusteigen können. Schließlich stürmten wir mit einer großen Gruppe von unseren neuen Kampfgefährten zusammen los und kamen über die Abteilfenster hinein. Das war nicht mehr menschlich, wir steckten da drin wie in einer Sardinenbüchse, man klebte Rücken an Rücken und hatte sogar Mühe, Luft zu holen. Aber wir hielten es aus bis Peking! Es war schon September, und es hieß überall, das sei das letzte Mal, dass der Vorsitzende Mao die Roten Garden empfangen würde, wenn wir später gekommen wären, hätte es keine Hoffnung mehr gegeben.
    Der Zug fuhr und hielt, es gab keine Ankunftszeiten, es war lustig. Jedes Mal, wenn er hielt, war das eine arge Prüfung, die Körper gaben nach, es wurde gedrängelt und geschoben und so viele Leute eingeladen, wie mit aller Gewalt hineinpassten. Verdammt, damals wäre ich gern aus Stein gewesen, dann hätte ich meinen Platz eingenommen und mich keinen Millimeter mehr von der Stelle bewegt, ich hätte nicht nachgegeben, und man hätte mich nicht zerdrücken können. Man trank so wenig wie nur irgend möglich, denn es war absolut unmöglich, bis zur Toilette durchzukommen. Wie die Genossinnen das machten, ich habe keine Ahnung, und die Männer, na, wenn sie es nicht mehr aushielten, haben sie ihren Lümmel herausgeholt und aus dem Fenster gezielt. Vorher musste man allerdings die anderen Fenster zumachen, damit niemand von der umherfliegenden Pisse getroffen wurde. Ein Rotgardist, ein richtiges Kindergesicht, musste unbedingt ein größeres Geschäft erledigen und versuchte eine halbe Stunde erfolglos, sich bis zur Toilette durchzuschieben. Was also sollte er machen, er salutierte vor jedem Einzelnen der gegen das Fenster gelehnten Kampfgefährten, und so hoben ihn viele menschenfreundliche Hände und Arme auf die Teetischklappe am Fenster, damit er seinen Hintern, der ihm so wenig Ehre machte, aus dem Fenster stecken und ein Geschäft erledigen konnte, bei dem er komplett das Gesicht verlor. Alles lachte schallend, und die weiblichen Kampfgenossen wandten sich hastig ab. Das waren keine normalen Zeiten, wir waren alles revolutionäre Kämpfer und Kameraden, da hätte sich nie einer über den anderen lustig gemacht.
    Vielleicht werden Sie das nicht glauben, aber die Fahrt nach Peking, für die man heute zwei Tage braucht, dauerte fünf, sechs Tage. Ich habe jeden Tag nur einmal etwas gegessen, habe meine Notdurft unterdrückt, und als wir in Peking ankamen, hatte ich Schwierigkeiten mit der Blase, sie war gefährlich angeschwollen, ich konnte den halben Tag an der Pissrinne stehen, aber es kam nichts. Es war, als sei da drin eine rotglühende Nadel versteckt, und als es dann kam, zischte es, und ich war nass vom Kopf bis zu den Füßen.
    Am Tag der Audienz sind wir dann mitten in der Nacht, um drei Uhr früh, aufgestanden und zum Tiananmen aufgebrochen, aber damit kamen wir schon über vier Stunden zu spät. Der Chang’an-Boulevard, der am Platz des Himmlischen Friedens vorbeiführt, war schon auf beiden Seiten dicht, man konnte da eigentlich nicht mehr hinein. Wir machten einen Umweg zum vorderen alten Stadttor, hörten auf die Anweisungen und sind dann im großen Strom rechts vom Ehrenmal auf den Platz gezogen. Der Mond stand am Himmel, und bunte Laternen leuchteten, so weit das Auge reichte, sah man nur grüne Uniformen und rote Fahnen. Ich glaube, jeder auf dem Platz war stolz, in der Zeit Mao Zedongs leben zu dürfen.
    Was später geschah, habe ich ja gerade schon erzählt. Der Mensch muss an etwas glauben, ein Glaube macht den Menschen rein und gibt ihm den Mut, sich für eine Sache zu opfern.
    LIAO YIWU:
    Und deshalb hat es vorher nie da gewesene Kämpfe gegeben, wegen ihres Glaubens haben sich zwei Fraktionen bis aufs Blut bekämpft. Zwischen Vätern und Söhnen, Männern

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