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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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wie eine Schüssel und an den Enden mit Schweinsleder bespannt. Der Musiker schlägt mit der Hand den Rhythmus und spricht und singt dazu mit lauter Stimme seine Lieder und komischen Geschichten. »Daoqin«, das bedeutet »Erzähltrommel«, ein urtümliches Instrument, das bald ausgestorben sein wird.
    QUEYUE:
    Ja, das stimmt. Damals zogen meine Eltern mit Daoqin und Erhu umher, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sieben, acht Blinde in einer langen Reihe, jeder sein Instrument auf dem Rücken, einen Bambusstock, um den Weg zu erkunden, in der Rechten, die Linke auf der Schulter des Vordermannes, der wieder seine Hand auf der Schulter seines Vordermannes – und ein Krückstock aus Fleisch ganz vorne. Das war ich – ein schwächliches, mageres, erst vier Jahre altes Kind.
    Mit dem Finger bohrte ich in der Nase und führte eine Schlange von Blinden aufs Land und in die Bergdörfer, manchmal hatten wir zehn, fünfzehn Kilometer zu gehen. Wir brachen in aller Frühe auf und trafen erst um die Mittagessenszeit am Aufführungsort ein. Unterwegs kamen wir durch einige kleine Käffer, in denen alle verfügbaren Erwachsenen und Kinder aufmarschierten, uns nachliefen und von allen Seiten angafften. Aus den ziemlich kaputten Lautsprechern in den Bäumen wurden immer noch die alten Leitartikel mit der Kritik an Lin Biao und Konfuzius verlesen.
    LIAO YIWU:
    Das ist wie ein Standbild aus einem alten Film.
    QUEYUE:
    Die Leute waren laut am Reden und Lachen, ich hatte das Gefühl, ganz und gar mein Gesicht zu verlieren. Mit Mühe gelangten wir irgendwann zum Haus des Toten – und, wie es Brauch war, ging es bei den Trauerfeierlichkeiten immer hoch her, und zwar über mehrere Tage und Nächte. Währenddessen mussten Vater und die anderen aus Dutzenden von Pekingopern vorsingen. Normale Stimmen sind schon nach ein paar solchen Melodien hinüber. Aber Vater und die anderen verdienten sich damit ihr Essen und übten deshalb jeden einzelnen Tag, so dass sie mit der Zeit immer besser wurden und irgendwann eine Kehle aus Stahl hatten.
    Normalerweise fanden die Aufführungen im Hof des Hauses oder im zentralen Wohnraum statt, und der Sarg wurde in ein paar Metern Entfernung aufgebahrt. Aus einem Umkreis von etlichen Kilometern kamen die Leute herbeigelaufen, Trauerfeierlichkeiten waren damals schon zu Großfesten der arbeitenden Bevölkerung geworden.
    LIAO YIWU:
    Wie viele Tage und Nächte seid ihr nicht zur Ruhe gekommen?
    QUEYUE:
    Wer müde war, döste halt ein wenig. Im Laufe eines Abends gab es zwei Vorstellungen, dazwischen war vier Stunden Pause. Die Stücke handelten alle von den von Mao Zedong auf den Müllhaufen der Geschichte geworfenen Kaisern und Königen, Generälen und Ministern, begabten jungen Gelehrten und schönen Mädchen, wie etwa »Das Westzimmer«, »Die Kurtisane Du Shiniang« oder »Am Qiujiang-Fluss«.
    In »Die Kurtisane Li Yaxian« heißt der junge Held Zheng Yuanhe. Auf dem Weg zur Prüfung in der Hauptstadt kommt er durch Yang-zhou, eine blühende Stadt, er zieht durch die Bordelle und trifft dort auf die in der Gegend von Jiangnan weithin berühmte Kurtisane Li Yaxian. Die beiden verlieben sich ineinander und versinken im Reich der Lust. Zheng Yuanhe versäumt nicht nur den Prüfungstermin, er verprasst auch sein gesamtes Reisegeld bis auf den letzten Groschen.
    Als Li Yaxian erkennt, dass der Geliebte ihrer Schönheit verfallen ist und deshalb kein Interesse mehr hat voranzukommen, sticht sie sich ihre wasserklaren Augen aus und bringt ihn so dazu, doch noch entschlossen und eisern zu lernen und akademische Würden zu erwerben. Daher kommt der in der traditionellen Oper berühmte Spruch »die Augen ausstechen, um das Studium voranzutreiben«.
    Als Zheng Yuanhe kein Geld mehr hat, wird er zudem von der Puffmutter aus dem Haus geprügelt und erfriert fast im Schnee. Ein paar Bettler retten ihn schließlich. Unter diesen »Li-Yaxian«-Opern gibt es auch eine berühmte mit dem Namen »Bettler stürmen die Straßen«. Als die in eine Sichuan-Oper umgeschrieben wurde, wirkte mein Vater daran mit.
    LIAO YIWU:
    Die Handlung des Stücks ist ganz schön verwickelt.
    QUEYUE:
    Ohne all das Hin und Her vergeht die Zeit ja nicht. Mein Vater hat im Laufe seines Lebens sämtliche Lieder aus »Die Kurtisane Li Yaxian« mehrere hundert Male vorgetragen, von vorne bis hinten. Selbst ich habe sie am Ende alle auswendig gekonnt:
    Die Welt ist weit, der Himmel voller Blüten,
    Was Junge ist und Mädchen soll sich

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