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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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massiv, dass die versteckten Truppen den Kopf nicht mehr heben konnten. In wenigen Augenblicken gab es unzählige Verwundete und Tote, der Kommandeur konnte gar nicht anders, als dem Hauptquartier Meldung zu machen und der Deckung den Rückzug zu befehlen. Der Feind feuerte noch eine Brandbombe ab, und das Gebüsch verwandelte sich in ein Flammenmeer.
    Guan Dong bekam einen Schuss in den Unterschenkel und wurde von seinen zähneknirschenden Kriegskameraden mit auf den Rücken gefesselten Händen mitgeschleppt.
    Die vom Krankenhaus gelieferte Krankengeschichte bewahrte ihn vor dem Kriegsgericht. Er kehrte nach Peking zurück und bestand nur noch aus Selbstvorwürfen – er hatte eine Wunde im Herzen, die sich in seinem Leben nicht mehr schließen sollte. Und trotz allem, hätte er nicht die Schusswunde am Bein gehabt, er hätte sich nicht daran erinnern können, dass er gebrüllt hatte.
    LIAO YIWU:
    Hier muss ich um Ihretwillen ein wenig durchatmen. Was machte Guan Dong, nachdem er nun über seine Krankheitssymptome Bescheid wusste? Wurde das zu einem Wendepunkt in seinem Leben?
    LI YING:
    Die meisten Menschen hätten, wenn ihnen das passiert wäre, sicher nicht gewusst, was tun, und hätten den Angehörigen Vorwürfe gemacht, ihnen nicht rechtzeitig alles gesagt zu haben. Aber Guan Dong ist ein tapferer Kerl, am meisten sorgt er sich immer wieder um die anderen. Wenn er zu Hause mehrere Nächte lang einsam vor sich hin getrunken hatte, sagte er jedes Mal:
    »Ich habe dir doch nichts getan, Li Ying? Sonst lassen wir uns scheiden, damit ich dir nichts mehr tun kann, wenn ich einen Anfall habe.«
    Ich wandte mein ganzes Können als Krankenschwester auf, um ihn zu beruhigen:
    »Du liebst mich doch aus ganzem Herzen, wie könntest du mir etwas tun? Träume sind Reaktionen des Unbewussten, und dein Unbewusstes ist gut und unverstellt wie du.«
    Guan Dong sah mir sehr direkt in die Augen und sagte erst nach einer ganzen Weile:
    »Du lügst nicht, du erzählst mir auch keine Märchen, das sehe ich in deinen Augen.«
    Dann seufzte er wieder:
    »Als mich die Krankheit damals im Versteck überkam, fielen meinetwegen so viele Kameraden, und ich bin noch auf der Welt und werde von Gewissensbissen geplagt.«
    Ich musste ihn von diesem Thema abbringen und sagte:
    »Guan Dong, du musst dich zusammenreißen, wir sind noch jung, deine Krankheit kann heilen.«
    Und Guan Dong sagte: »Da ich dich habe, glaube ich auch, dass ich gesund werden kann.«
    Hören Sie, das war Guan Dong, nach so vielen Jahren habe ich diese Worte noch immer fest im Herzen.
    LIAO YIWU:
    In unseren materialistischen neunziger Jahren klingen Ihre Erlebnisse wie ein Märchen. Wie wurde nun später Guan Dongs Krankheit behandelt?
    LI YING:
    Guan Dong war in unserer Arbeitseinheit ausgesprochen beliebt. Deshalb hatte die Führung eine hohe Meinung von ihm und erlaubte ihm, wohin auch immer zur Behandlung zu gehen, und sie bezahlte dafür. Er fuhr damals nach Shanghai und Guangzhou, selbst sowjetische Spezialisten suchte er auf, aber keiner wagte es, die lebenswichtige Operation vorzunehmen. Die Behandlungsmöglichkeiten im Land waren begrenzt, ins Ausland konnte er nicht gehen, da war nichts zu machen, es musste aufgeschoben werden.
    Um uns vor einem Unglück zu bewahren, blieb Guan Dong jeden Abend bis spät in die Nacht wach und las Manuskripte, wenn ich dann fest schlief, schloss er das Schlafzimmer ab und nächtigte selbst auf dem Sofa im Wohnzimmer. Bevor er sich zur Ruhe begab, räumte er alle scharfen Gegenstände aus dem Zimmer, verschloss seine Tür, genehmigte sich ein paar Schnäpse und legte sich hin. Weil Guan Dong so auf sich selbst aufpasste, fiel mehrere Jahre nichts mehr vor. Er musste höchstens am nächsten Tag beim Aufwachen feststellen, dass er vom Sofa gefallen war.
    Als 1957 in der Kampagne gegen Rechtsabweichler unsere Einheit aus einigen Dutzend Menschen nur eine Handvoll Rechtsabweichler aussonderte – die Genossen innerhalb der Einheit verstanden sich gut miteinander –, erfüllte das offenbar nicht das von oben angeordnete Soll. Mit der letzten Gruppe wurden noch einmal zwei aussortiert, aber wie man auch zählte, es fehlte noch immer einer in der »Rechtsabweichlerquote«.
    Was war zu tun? Hätten wir uns nicht selbst darum gekümmert, hätten die von oben eine Arbeitsgruppe geschickt, die uns dabei half, an Einsicht zu gewinnen. Denken Sie, im Verlagsbereich, wo es haufenweise Intellektuelle gab und politische Probleme nicht selten

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