Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

diese Weise, die wahre Stimmung aus den Leuten herauszulocken. Aber niemand hatte Lust, mitten im Konkurrenzkampf mit Geplauder seine Zeit zu vertun.
    Zhao Er war ein Obdachloser, auf den ich in der Feuergasse beim Neuen Südtor traf, vierzig Jahre alt, aus irgendeinem Kreis im Norden von Sichuan, er hatte Kohle gefördert und war nun schon sieben Jahre auf Wanderschaft. Weil die anderen Obdachlosen ihn alle »Zhao Er« nannten, übernahm ich diese Angewohnheit und kaufte mir dieses Gespräch für zehn Yuan.
    Das Ganze fand um 9  Uhr abends statt, am 12 . Januar 1999 , es war bewölkt, bei vier Grad fiel ein leichter Regen.
    ***
    LIAO YIWU:
    Es ist ganz schön kalt, warum schläfst du auf der Straße?
    ZHAO ER:
    Das ist nicht die Straße, sehen Sie, ich habe oben eine Plastikplane gegen den Regen und auf dem Boden gegen die Feuchtigkeit ein Öltuch, darüber Wattefutter, und wenn man sich dann noch vom Kopf bis zu den Füßen einmummelt, spürt man überhaupt nichts mehr. Man macht die Augen zu, und schon ist es Morgen. Wenn man in der Fremde unterwegs ist, ist alles gut, was nicht teuer ist. Dann verhungert man auch nicht.
    LIAO YIWU:
    Kein Heimweh?
    ZHAO ER:
    Wonach denn? Nach der Frau und dem Haufen Kinder? Das macht einem nur Sorgen!
    LIAO YIWU:
    Habt ihr bei euch denn keine Geburtenplanung gemacht?
    ZHAO ER:
    Doch doch! Aber für eins zuviel ist die Strafe dreitausend Yuan. Woher sollte ich das nehmen, ich habe kein Geld! Das ist jetzt erst ein paar Jahre her und, bevor man sich versah, haben sie die Häuser abgerissen und in Massen die Weiber vertrieben. Ein paar Leute haben ihnen Verhütungsringe aufgezwungen. Wenn die einmal drin sind, kriegt man sie mit keinem Stäbchen mehr heraus. Song Dandan hat sich in dem Sketch »Die Geburtsraten-Partisanen« [130] über Leute wie uns lustig gemacht, als ob wir unsere dickbauchigen Frauen überallhin mitnehmen und im ganzen Land Nachwuchs bekommen würden! Woher soll denn dafür das Reisegeld kommen? Das hat sie nicht überlegt. Wie soll man das mit der Verpflegung lösen? In Züge kommt man heutzutage auch nicht mehr gut hinein. Selbst wenn man es schafft, in einen Wagen zu kommen, kann man sich ein paar Stationen nicht rühren und dann wird man hinausgedrückt. Meine drei Töchter sind alle zu Hause zur Welt gekommen, das Geburtenplanungsbüro kam vorbei, stolperte bei uns im Dunkeln herum und bekam nichts klar, am Morgen kamen sie noch einmal und haben den Mülleimer umgestoßen. Eine meiner Kleinen lag an der Brust, die anderen beiden hingen an ihrer Tante und wollten Bonbons. Danach hat sich das Geburtenplanungsbüro nicht mehr blicken lassen.
    LIAO YIWU:
    Wenn ihr so arm seid, warum habt ihr dann so viele Kinder bekommen?
    ZHAO ER:
    Ich bin arm und ich habe kein Glück – ich weiß das, aber mein Schwanz weiß das nicht. Mein bestes Stück ist immer steif, das Einzige an mir, das funktioniert. Wenn man viele Nachkommen in die Welt setzt, kann in Zukunft alles anders werden. Wir Deppen vom Land haben kein Geld, um in Nachtclubs zu gehen, unser Nachtclub ist das Bett. Wenn die Lichter aus sind und man nichts tun kann, schnappt man sich seine Alte und macht Nachtclub. Arme Leute haben viele Läuse, ein bisschen nicht aufgepasst, schon hat die Alte einen dicken Bauch, ist das ein Wunder? Nur wenn eine wirklich Kinder will, dann kommen sie einfach nicht.
    LIAO YIWU:
    Hast du vor, Geld zur Seite zu legen und es nach Hause zu schicken? Wenn ich sehe, wie sparsam du lebst und nicht einmal Geld für eine Unterkunft ausgeben willst.
    ZHAO ER:
    Ich habe schon über ein halbes Jahr kein Geld mehr nach Hause geschickt.
    LIAO YIWU:
    Und was machen sie dann zu Hause?
    ZHAO ER:
    Sie müssen selbst sehen, wie sie zurechtkommen. Ein Baby auf dem Land, das ist nicht Goldzweig und Jadeblatt wie bei Kaisers früher, wenn sie zwei, drei Jahre alt sind, da stehen sie noch nicht sicher auf ihren Beinchen und betteln schon um Essen und wollen Zeugs. Andererseits, mit Tellerablecken wird man auch groß. Meine Alte hat die Töchter zum Hausieren mit in die Kreisstadt genommen, da kennt sie jede Tür und jede Straße, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass ihr Einkommen sich eher sehen lassen kann als meins. Ich habe festgestellt, je verhätschelter ein Baby, desto schwerer großzuziehen, die blassen und fetten müssen alle paar Tage ins Krankenhaus. Meine Kleinen werden nicht krank, da kann es noch so stürmen und schütten. Die sind wie junge Bäume. Ohne dass du dich groß um sie