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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Schlafwandler anzusprechen und damit zu wecken, es konnte zu einem Unfall kommen, sogar zum plötzlichen Tod.
    Ich ging zurück ins Bett und stellte mich schlafend. Er kam hinter mir her, beugte sich zu mir herunter, tätschelte mir das Gesicht, und als er keine Reaktion bemerkte, küsste er mich auf die Stirn. Diese alltäglichen Handlungen wären unter normalen Umständen sehr zärtlich und romantisch gewesen, aber in diesem Augenblick kamen sie mir steif und mechanisch vor. Ich wagte nicht zu atmen, innerlich betete ich, Guan Dong möge schnell wieder ins Bett gehen, aber er marschierte nach einer Kehrtwendung wie unter militärischem Drill mit einem Mal starr und steif vorwärts durch die Tür.
    Ich lief ihm hinterher, den Weg kannten wir beide in- und auswendig. Ich befürchtete, er könnte dem Bogen der Allee folgen, den Wohnbereich verlassen und in die Krankenstation hineingehen, was ein ziemliches Desaster gewesen wäre. Ich ging deshalb schnell eine Abkürzung und schloss das Zauntor im Hinterhof, er sollte, wenn er beim Schlafwandeln nicht hinaus konnte, seinen Spaziergang abbrechen und nach Hause zurückgehen.
    Doch wieder lag ich falsch. Als Guan Dong zum Tor kam, brummte er nur ein paar Mal, dann machte er kehrt und bog vom Weg ab. Er lief querbeet, mitten durch zwei Blumenrabatten, und würde bald an der Leichenkammer bei der Abteilung für Infektionskrankheiten sein.
    Vor Schreck verkrampften sich meine Hände und Füße, aber ich musste ihm folgen. Eine Möglichkeit zur Abkürzung gab es bis dahin nicht, hätte ich nach dem diensthabenden Arzt gerufen, wäre auch er zu spät gekommen. Schwankend und taumelnd rannte ich also wie verrückt hinterher, um ihm dann in einem Abstand von fünf Metern zu folgen. Als wir zur Leichenkammer kamen und ich die Tür verschlossen sah, dachte ich, das ist gutgegangen, er würde umkehren und ausweichen. Doch auf einmal ging die Tür auf, das Schloss hing nur noch an seinem Bügel.
    Guan Dong machte allen möglichen Unsinn in der Leichenkammer, er richtete die Leichen aus zwei Kühlsärgen auf und stellte sich mit ihnen still gegen die Wand. Dann zog er sein Unterhemd aus, zerriss es in drei Teile und gab davon jedem einen. Mit offenem Mund, aber ohne einen Ton von sich zu geben, begann er, Parolen zu skandieren, und schwenkte dabei ein unsichtbares Fähnchen.
    Ich war teils alarmiert, teils erschrocken und raste los, um beim Totengräber anzuklopfen. Der Mann hatte viel Erfahrung, auf dem Land hatte er sich häufig um die Regelung von Todesfällen gekümmert, und nachdem er sich meinen tränenreichen Bericht angehört hatte, holte er, ohne irgendetwas zu sagen, aus einer Zimmerecke einen kleinen Stock. In der Leichenkammer genehmigte er sich dann einen Schluck Schnaps, drückte mir die Flasche in die Hand, gab mir einen Wink, nach Hause zu gehen, und machte sich selbst plötzlich ganz steif. Langsam ging er auf Guan Dong zu und stellte sich neben ihn. Und diese vier spielten nun eine Viertelstunde lang stummes Theater, bis der Wache schließlich einen Augenblick nutzte, einen Arm des Träumers hob und ihm den kleinen Stock in die Faust drückte.
    Dann zog er ihn an dem Stock hinter sich her. Guan Dong trabte bis zu unserer Tür brav hinter ihm her. Als der Totengräber merkte, dass Guan den Kopf einzog, glitt er wie ein Fisch ins nächtliche Dämmerlicht davon. Sich noch immer an dem kleinen Stock festhaltend wurde Guan Dong von einer unsichtbaren Kraft ins Haus gezogen, im Wohnzimmer bog er ab, stolzierte wie ein Gockel zum Bett und legte sich neben mich. Im Nu schnarchte er.
    Nach dieser atemberaubenden Geschichte war ich vollkommen erschöpft, und obwohl es schon dämmerte, schlief ich ein, nicht einmal der Wecker brachte mich wach. Um ein Uhr mittags sprangen Guan Dong und ich gleichzeitig aus dem Bett und riefen nur: »Mist!« Dann stürzten wir Hals über Kopf aus dem Haus.
    Überall machten Gongs und Trommeln einen Mordslärm, es wurde lauthals gesungen, und rote Fahnen wehten, die Befreiungsarmee war also längst in der Stadt. Wir mischten uns sofort in den Strom der Massen, Guan Dong zeigte in der Sonne sein strahlendstes Lächeln. Wirklich, ich liebte diesen Kerl, den nichts aus der Bahn werfen konnte. Andernfalls hätte ich ihn an diesem Tag still und heimlich verlassen.
    Später sagte Guan Dong leise zu mir:
    »Wie kommt es eigentlich, dass wir so spät dran sind? Ich habe die ganze Nacht von der Begrüßung der Befreiungsarmee geträumt. Ich rasierte

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