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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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kümmerst, im Handumdrehen schießen sie in die Höhe.
    LIAO YIWU:
    Du nimmst es mit deinen Vaterpflichten aber nicht sonderlich genau.
    ZHAO ER:
    Ich komme doch selbst kaum über die Runden! Die haben wenigstens noch ein Nest, während ich am Straßenrand schlafe. In dieser Reihe da schlafen fast zwanzig Männer, ich bin der älteste. Von hier ist es nicht weit zum Arbeitsmarkt an der Neun-Augen-Brücke, morgen muss ich so bald wie möglich hin und ein Restaurant suchen, in dem ich arbeiten kann. Mein Magen ist schon wieder leer, dabei ist es noch nicht einmal dunkel! Ich möchte an einer Baustelle arbeiten, als Kuli verdient man ein bisschen mehr. Wenn der Magen leer ist, steigt die Kälte in einem auf. Am meisten wünsche ich mir einen kleinen Nudelsuppenladen, wo ich mir eine große warme Schüssel Nudeln reintue. Keine zehn Schritte vom Eingang des Beerdigungsinstituts ist ein Nudelladen mit einer großen dicken Mutter, eine Schüssel kostet dort drei Yuan, wenn man sie leer hat, kann man noch Nudeln nachbekommen. Nudeln, aber keine Brühe. Gestern sind wir sechs Mann hoch da rein, haben dreimal Nudeln nachbestellt, die Chefin hat ganz schön geschaut. Ich habe sämtliche Läden in der Stadt verglichen, ihrer ist am reellsten. Unter der Neun-Augen-Brücke gibt es zwar auch Nudeln, für nur zwei Yuan, vegetarisch sogar für nur einen, doch da ist nichts drin, da bin ich erst nach drei Schüsseln satt. Einmal, mir war vor Hunger schon ganz schwindlig, da habe ich sieben Schüsseln leer gemacht.
    LIAO YIWU:
    Es sieht so aus, als würdest du dir mehr aus dem Essen machen als aus deinen Töchtern.
    ZHAO ER:
    Chef, können Sie mir nicht Geld für eine Schüssel Nudeln geben?
    LIAO YIWU:
    Ich gebe dir zehn Yuan. Aber häng es nicht an die große Glocke, mach die anderen nicht aufmerksam, sonst wollen alle Geld, das kann ich mir nicht leisten. Wie viel Land habt ihr eigentlich zu Hause?
    ZHAO ER:
    Gar keins. Ich bin Bergmann.
    LIAO YIWU:
    Ein arbeitsloser Arbeiter? Komm, komm, willst du mir vormachen, du bist ein arbeitsloser Arbeiter?
    ZHAO ER:
    Nicht von einem staatlichen Betrieb, eine kleine Zeche, spezialisiert auf die Nische der staatlichen. Wenn die große Zeche zum Beispiel von dieser Seite des Bergs her einen Stollen vorantrieb, dann kamen wir von der anderen Seite. Von weitem gesehen sieht so ein Bergrücken aus wie ein Honigwabenbrikett, wie wir die Lochbriketts nennen. Der Eingang in so eine kleine Zeche sieht aus wie der Eingang eines Fuchsbaus, wir konnten nur auf allen vieren hinein, den Kohlekorb mussten wir an der Schulter hinter uns herziehen, die Arme am Kopf lang nach vorn gestreckt. So etwas, in dieser Haltung vorwärts robben, das lernt man eigentlich nur bei der Volksbefreiungsarmee. Das Flöz ging schräg nach unten, wie eine Bierflasche, erst eng, dann weit, Kohle konnte man nur abbauen, wenn man ganz bis nach unten stieg. Mein Gott, man konnte die Hand nicht vor Augen sehen.
    LIAO YIWU:
    Hattet ihr keine Grubenlampen und Presslufthämmer?
    ZHAO ER:
    Das haben Sie wohl im Kino gesehen? In den Raubzechen hatten wir keine Grubenhelme, wir banden uns Taschenlampen auf den Kopf. Presslufthämmer konnten wir noch viel weniger benutzen. Wenn wir loslegten, gab das heftige Erschütterungen im Berg, wir hatten recht schnell heraus, dass die Gefahr von Erdrutschen bestand. Im Berg hatten wir provisorische Holzstützen, die dem nicht standhielten. Dieser Job hätte einen Ochsen umgebracht, und wir machten das über viele Jahre hinweg für ein paar Yuan am Tag. Unsere Gesichter wurden gar nicht mehr sauber, manchmal war ich so erschöpft, dass ich zu Hause schon einschlief, bevor ich die Klamotten richtig runterhatte. Die Tage waren lang, schauen Sie hier, in meiner Nackenkuhle, der schwarze Ruß, der ist nicht abzuwaschen, selbst wenn man die oberste Hautschicht abreibt, es geht nicht, die Kohlespuren sind bis ins Fleisch gedrungen.
    LIAO YIWU:
    Wenn du zu Hause keine Kohle mehr förderst, was machst du dann hier?
    ZHAO ER:
    In den achtziger Jahren kam man noch leidlich durch, in den Neunzigern ging das nicht mehr. Was konnte man schon noch für die paar Yuan kaufen, für die man womöglich einen ganzen Tag lang gebuddelt hatte, man konnte sich davon nicht einmal den Bauch vollschlagen. Auf den Dörfern sah es ganz düster aus, wir stahlen die Kohle, und die Kader verdienten Geld damit und bauten sich große Häuser. Als dann die großen Zechen Verluste machten und die Gehälter nicht zahlen konnten, wurde

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