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Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Fräulein Hallo und der Bauernkaiser

Titel: Fräulein Hallo und der Bauernkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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passiert. Ich soll mich darum kümmern? Bin ich lebensmüde?
    LIAO YIWU:
    Woran hast du denn damals gedacht?
    ZHAO ER:
    An meine Karre, wenn die umfallen und kaputtgehen würde, würde ich Geld brauchen für die Reparatur, deshalb stand ich dabei und machte mir Sorgen. Der Chef da war dumm wie ein Kragenbär, dabei sah er aus wie ein Kampfturner in den alten Opern. Ich half den Kerlen, ihn runterzuschieben, aber er blieb stur im Wagen. Und als ich ihn später um meine Bezahlung anging, fing er auch noch an zu schimpfen.
    LIAO YIWU:
    Er hatte eine Erleuchtung, verdammt, er hatte bestimmt eine Erleuchtung.
    ZHAO ER:
    Mein Herr, machen Sie sich über mich lustig? Mir geht es schon mies genug, auf Ihren Spott kann ich verzichten. »Ein armer Mensch hat kurze Würde, ein dürres Pferd nimmt keine Hürde«, ich lebe schon auf der Straße, ich kann es mir buchstäblich nicht leisten, den Helden zu markieren. Aber die Videos mit den Helden und harten Kerlen, die es überall gibt, schaue ich mir oft an, zwei Stück für einen Yuan, mit einem Becher billigem Mischtee. Vorne an der Kurve sind vier oder fünf Videotheken mit Plastikfolien, dadrunter sitzen sie in schieren Haufen, Dutzende von Männern, die machen alle Handlangerdienste. Das ist unser Vergnügen, wir schauen jeden Tag Videos, die von Glück erzählen und von guter Arbeit. Mein Herr, sind Sie vielleicht Journalist? Journalisten können es sich leisten, Helden zu sein. Wenn die sich in Sachen einmischen, die sie nichts angehen, und verletzt werden, dann müssen die Zeitungen das bringen, das Fernsehen berichtet darüber, sie müssen den Krankenhausaufenthalt nicht aus eigener Tasche zahlen, und vielleicht bekommen sie auch noch einen Preis.
    LIAO YIWU:
    Du redest ein Zeug daher! Ich erinnere mich, dass die Polizei große Anstrengungen unternommen hat und hier die Neun-Augen-Brücke und die Gegend um die Fünf Steine mehrmals gesäubert hat.
    ZHAO ER:
    Für die Moral gibt es zuviel arme Leute, die alle auf Teufel komm raus reich werden wollen. Ich gehe nicht stehlen, das heißt, ich habe Bewusstsein. Es regnet jetzt schon über zehn Tage – und was morgen werden soll, das wissen die Götter.

Detlev Claussen
Ein Monument aus lebendigen Gesprächen
    Zu Liao Yiwus erzählten Erfahrungen, die von Mund zu Mund gehen
    »Erfahrung, die von Mund zu Mund geht, ist die Quelle, aus der alle Erzähler geschöpft haben. Unter denen, die Geschichten niedergeschrieben haben, sind es die Großen, deren Niederschrift sich am wenigsten von der Rede der vielen namenlosen Erzähler abhebt.«
    Walter Benjamin, »Der Erzähler«
    Das Bild hat sich der Welt eingeprägt – ein einzelner Mann, zwei Taschen in der Hand, als ob er vom Einkauf käme oder auf dem Weg ins Büro wäre, stoppt eine Panzerkolonne. Es ist der
Tiananmen
in Beijing, 4 . Juni 1989 . Noch heute, zwanzig Jahre danach, hat man dieses Bild auf dem Schirm, wenn man unter dem Stichwort »Unruhen« auf dem Platz des Himmlischen Friedens sucht. Auf
»You Tube« kann man dieses Bild in Bewegung setzen, der Körper wird zum couragierten Menschen, der unbewaffnet einen Panzer besteigt und mit der Besatzung spricht. Im Internet hat dieser Mann den Namen TankMan bekommen. Die Worte, die er mit dem Panzerkommandanten wechselt, hört der Zuschauer nicht; aber wenn dieser das Buch von Liao Yiwu in die Hand bekommt, hat er eine Gelegenheit, die ganze Geschichte zu verstehen. Wer zum Beispiel das Gespräch mit dem
Konterrevolutionär
liest, kann erfahren, wie aus einem mutigen einzelnen Menschen vor der Panzerkette ein »Konterrevolutionär« werden kann. Der Blick, den Liao Yiwus Gesprächspartner im Juni 1989 auf Szenen wie diese aus seinem Hotelfenster warf, machte es ihm nämlich unmöglich, weiter ein »Revolutionär« zu sein. Um das zu verstehen, muss man die ganze Geschichte, die auch seine Familien- und Lebensgeschichte ist, kennen. Liao Yiwu hat mit seinen Gesprächen eine Methode gefunden, den abgerissenen Erzählfaden zu spinnen, der nötig ist, um Erfahrungen auszutauschen.
    In einer Zeit, in der Europa als katastrophisch erlebt werden konnte, hat Walter Benjamin den Gedanken formuliert, dass die Fähigkeit zu erzählen nachlässt, wenn die Erfahrungen entwertet werden. Das zwanzigste Jahrhundert, das der globalgeschichtlich kenntnisreiche Historiker und Zeitgenosse Eric Hobsbawm als ein
short century
begriff, das wesentlich mit der russischen Oktoberrevolution 1917 begann und mit dem Zerfall der Sowjetunion 1989 / 1990

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