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Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition)

Titel: Fräulein Jacobs funktioniert nicht: Als ich aufhörte, gut zu sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louise Jacobs
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waschen, um mir Dreadlocks drehen zu lassen. Meine Mutter war in diesen Bereichen sehr tolerant und hatte nichts dagegen. Mein Vater aber sagte: »Wenn du dir das machen lässt, nehme ich dich bestimmt nicht mit auf die nächste Jagd.« Das war bitter. Noch nie war ich mit meinem Vater auf einer Jagd mit Meute und schnellen Galoppstrecken über Feld und Wiese gewesen. Dass mein Vater überhaupt mit dem Gedanken spielte, mich mitzunehmen, war schon außergewöhnlich. Ich konnte mir auch gar nichts unter einer solchen Jagd vorstellen, aber grundsätzlich wollte ich auf Unternehmungen mit meinem Vater, in denen das Pferd eine Hauptrolle spielte, nicht verzichten. Die Frage, warum er mir nun ausgerechnet die Jagd vorenthalten wollte, verunsicherte mich. Egal, dachte ich mir schließlich. Beharrlich wartete ich darauf, dass meine Haare verfilzten. Und dachte zudem über Tätowierungen und Piercings nach, um meinen Makel zu übertünchen.
    Als der Tag kam, an dem ich beim Friseur angemeldet war, um mir die Dreads drehen zu lassen, zweifelte ich sehr an dem ganzen Vorhaben. Ich dachte an den Juckreiz und den Geruch von Schmierseife in meinen Haaren. Wie würde ich denn aussehen mit so einem Vogelnest auf dem Kopf? Ich wollte damit gegen das Gebot der Züricher Gesellschaft verstoßen – aber war das ein Verstoß oder einfach nur hässlich? Ich fragte meine Mutter. Sie schlug vor, dass ich statt der Dreads die Haare ja auch färben könnte. Das fand ich gut und beschloss, sie zu bleichen.
    Nach einer langen Prozedur waren meine sonst dunkelbraunen Haare weißgelb, punkig gestylt. Mit der Hoffnung, eine Persönlichkeit abgestoßen und eine neue angenommen zu haben, sah ich in den Spiegel. Was ich da sah, war aber auch nicht all das, was ich gern sein wollte – ein guter Schüler, ein fröhliches, hübsches Mädchen, ein Cowboy und Ausreißer. Ich war und blieb Louise.

16
    Hä nderingend suchte ich weiter nach dem Elend, nach dem Tödlichen, wie es Camus beschrieb, aber ich fand nur den Glanz. Der Schein hatte sich ja auch längst auf mich übertragen, und ich musste immer wieder feststellen, dass ich bei allem Zorn eine brave Tochter aus gutem Hause blieb – selbst mit gebleichten Haaren. In der Gesellschaftsschicht, in der ich steckte, gab es nur den Aufstieg.
    Die einzige Form der Rebellion war also, weiter an meine Träume zu glauben. Ich verabscheute das schöne Zürich und sehnte mich nach der Gosse in Algerien, nach der Wildnis Montanas. Dort in einer Nische glaubte ich irgendwann jemanden zu finden, der keine drei Zahlen zusammenzählen konnte, aber dafür schneller rennen konnte als jeder Polizist und der mir sagen konnte, wie man sich einen Hasen zum Abendbrot schießt.
    Zudem beherrschte mich eine unglaubliche Wut. Ich kämpfte gegen alles und jeden, musste mich durch den Pulk all jener schlagen, die glaubten, sie könnten mir die Welt erklären.
    Was meine Zukunft betraf, sah ich ziemlich schwarz. Ich lebte nicht, ich träumte. Mühevoll schleppte ich Steine heran, um sie zu einer Mauer aufzuschichten, hinter der ich mich verschanzen konnte.
    Genau in diese dunkle Zeit fiel die Hauswirtschaftswoche. In der Schweiz ist es üblich, in der Sekundarstufe Hauswirtschaft als Schulfach zu belegen. Dort lernen Schüler Kopfsalat mit französischer Sauce, Wähe oder Bratwurst mit Rösti zuzubereiten, Hemden richtig zu bügeln, Zimmerpflanzen zu wässern und die richtigen Reinigungsmittel für den Haushalt einzusetzen. Auf meiner Schule wurde die Hauswirtschaft im Lehrplan auf sieben Tage hintereinander einmal im Jahr eingeschränkt. Aus beiden Klassen, aus denen eine Stufe bestand, wurden zwei Gruppen gebildet, und diese wurden eine Woche lang in die Hauswirtschaft geschickt. Während ich zu meiner Musik in Gedanken das grüne Flusstal des Rio Grande durchstreifte und durch einsame Wüstenlandschaften ritt, musste ich in der S-Bahn nach Schwammendingen zur Hauswirtschaftswoche gondeln. Meine wenigen besten Kameraden waren alle in die andere Gruppe eingeteilt worden, und ich steckte alleine mit allen von mir verachteten Schülern in Schwammendingen fest. Ich wäre lieber eingegangen, als über Blattläuse und die richtige Pflege von Geranien unterrichtet zu werden. Ich hörte heimlich Musik im Unterricht, kritzelte, oder schrieb etwas in mein Heft, saß in Gedanken versunken in der Pause über meinem Buch und las vom Gewitter in den Badlands zwischen Texas und Mexiko. Die Lehrerin verwies mich mehrmals aus dem

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