Fraeulein Jensen und die Liebe
vielleicht sieht man sich ja mal zufällig wieder.«
Wenn ich darüber nachdenke, habe ich Rocko Schamoni wirklich den würdevollsten Abgang zu verdanken, den ich jemals hingelegt habe. (Normalerweise falle ich eher in die Kategorie »hysterisch«. Stefan habe ich noch wochenlang nach unserer Trennung mit nächtlichen Anrufen tyrannisiert, und ich gebe zu, dass auch die zerstochenen Reifen nach der Uni-Party auf mein Konto gingen.)
Ohne Rocko Schamoni hätte ich den Liebeskummer wegen Jens in der Tat nicht heil überstanden.
»Und du meinst, den soll ich jetzt suchen?«
»Natürlich. Du wolltest ihn doch damals schon ausfindig machen. Woran ist es eigentlich gescheitert? Du warst doch so voller Tatendrang und hast eine Zeit lang sogar mit seinem Buch unter dem Kopfkissen geschlafen.« Pia lacht.
»Haha, sehr witzig. Ich war eben anlehnungsbedürftig. Aber du hast recht. Ich hatte auch schon alles über ihn herausgefunden und wollte tatsächlich Kontakt aufnehmen. Aber irgendwas kam dazwischen. Lass mich überlegen.« Auf einmal fällt es mir wieder ein. »Oh nein, ich weiß es: Wegen der Steuererklärung habe ich es total vergessen, mich bei ihm zu melden.«
Gott, wie unangenehm. Sollten Rocko und ich uns in meiner groß angelegten Traummannsuche nun doch noch kennen (und lieben) lernen, würde es mir im Rausch der Gefühle sicher irgendwann rausrutschen: »Das alles hätten wir schon Jahre vorher haben können.« Und zur Erklärung müsste ich ihm dann noch sagen, dass ich ihn damals nur nicht gesucht hatte, weil Frau Stein vom Finanzamt Hamburg Mitte mehrmals anrief, weil ich das Formblatt 6 b immer noch nicht nachgereicht hatte.
Nun, er wird es mir verzeihen. Hoffe ich doch.
»Also, ich bin bereit«, sage ich feierlich. Außerdem dürften die Suche und die Eroberung nicht allzu schwer werden, schließlich hatte ich schon damals alle nötigen Informationen über diesen gewissen Rocko Schamoni recherchiert und in einem roten (natürlich!) Schnellhefter zusammengestellt. Wo aber ist dieses einzigartige Dokument der Liebe?
Während Pia es sich auf meinem Sofa gemütlich macht (sie denkt anscheinend, dass die Suche länger dauert), wühle ich mich durch alle Schubladen sämtlicher Schränke meiner Wohnung. Und es sind viele! Als ich die Hoffnung schließlich aufgeben will, fällt mein Blick auf einen kleinen weißen Rollschrank, der neben meinem Schreibtisch steht. Für gewöhnlich bewahre ich da all die Dinge auf, die sonst keinen Platz in meiner Wohnung haben, die ich aber auch nicht wegschmeißen möchte. Seit Monaten habe ich dieses Schränkchen nicht mehr geöffnet, mit etwas zitternden Händen klappe ich die Tür auf. Ich finde zwei gebrauchte Taschentücher (warum ich die anscheinend behalten wollte, ist mir ein Rätsel), ein altes Lebkuchenherz »Ich liebe Dich« und – oh Gott – eine verschimmelte Banane.
Wenn RTL irgendwann eine Reportage über einen Messie in Deutschland drehen sollte, könnten sie den Beitrag problemlos mit mir und meinem weißen Rollschrank beginnen. »Deutschland verwahrlost – wir decken die schlimmsten Fälle auf.«
Aber all das interessiert mich nicht. Denn in der untersten Ablage sehe ich plötzlich Rocko Schamoni, na ja, zumindest schon einmal etwas von ihm: den roten Schnellhefter.
Ich ziehe ihn heraus und klappe den Deckel um. Da sind sie, die brisanten Informationen:
Ich klappe den Ordner wieder zu. Das Blatt Papier wirkt, als hätte ich irgendwann in der Schule ein Referat über Rocko Schamoni halten müssen. »Ich verteile nun die Themen«, sprach der Lehrer. »Anja übernimmt das Leben von Goethe, Thomas referiert über Beethoven und Hannah spricht über Rocko Schamoni.«
Ach was, ich bin richtig stolz auf mein Werk. Vorbildlicher kann eine Traummannsuche ja nun wirklich nicht beginnen. Ich befürchte nur, dass noch ein wenig Arbeit auf mich zukommt.
1. Ich habe noch kein ebenbürtiges Pseudonym. Tobias Albrecht hat Rocko Schamoni aus sich gemacht. Hannah Jensen kann auf keinen Fall Hannah Jensen bleiben.
2. Ich muss noch ein paar coole Bands auftreiben, die ich im Gespräch beiläufig erwähnen kann. Wenn ich nach meinem Musikgeschmack gefragt werde, druckse ich nämlich für gewöhnlich rum und sage dann kleinlaut: »Das, was so im Radio läuft.«
Das geht natürlich gar nicht. Ich weiß, dass Männer (und sicher allen voran Post-Punker Rocko Schamoni) auf Frauen stehen, die in solchen Momenten kanadische Underground-Bands mit unaussprechlichen
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