Fraeulein Jensen und die Liebe
(Underground Party draußen) und eine Zahnbürste (man weiß ja nie).
Ich habe so viel dabei, dass ich eigentlich mit einem Rollkoffer zum Gespräch anrücken müsste, aber irgendwie schaffe ich es, die Sachen in meine Handtasche zu quetschen. Dem Himmel sei Dank, dass große Taschen gerade äußerst angesagt sind. Mit etwa 15 Kilo um die Schulter geht es zum Café Oriental.
Machen wir es kurz: An einer Straßenkreuzung zerplatzen all meine Träume einer Hamburger Szene-Bar mit Türsteher und schönen Kellnern. Das Café Oriental ist die unglamouröseste Kneipe, die ich je gesehen habe. Sie ist über und über mit Efeu bewachsen, in den Fenstern baumeln orientalische Lampen und die Tür ist aus Holz. Nicht aus schönem Holz, nicht aus besonderem Holz, nicht aus coolem, abgeschrammtem Holz. Sondern einfach: aus Holz.
Das muss alles ein Missverständnis sein. Ein großes Missverständnis. Fassungslos stehe ich vor dem Eingang. Es muss ein anderes Café Oriental geben. Aber wo? Ich will gerade eine vorbeieilende Frau um Rat fragen, da sehe ich plötzlich durch eine der Fensterscheiben Rocko Schamoni. Allein. Oh mein Gott, er trifft sich mit mir allein. In einer Eckkneipe. Pia und ich hatten doch den Abend wie Nostradamus perfekt vorhergesagt. Wo sind all seine Kumpels, die uns schmutzig hinterherpfeifen und mit denen ich mir gleich die Nacht um die Ohren schlagen werde?
Irritiert betrete ich das Café Oriental. Rocko Schamoni sitzt gleich neben der Tür rechts.
»Da bin ich«, sage ich. Oh mein Gott, habe ich wirklich »Da bin ich« gesagt? Fehlt ja nur noch, dass ich aus einer Torte springe. Ich lache hysterisch auf und schiebe ein harmloses »Hallo« hinterher. Rocko Schamoni steht auf, gibt mir die Hand und sagt: »Willst du dir auch gleich was bestellen? Ich habe schon Tee.«
Mein Herz macht einen Sprung. Noch nicht einmal zwei Sekunden hat es gedauert und wir duzen uns! Wenn wir in dem Tempo weitermachen, werde ich bald Mutter, denke ich. Und bestelle mir erst einmal einen neutralen Apfelsaft zum Durchatmen.
Während ich mich geschäftsmäßig im leeren (!) Café Oriental umsehe, blicke ich immer wieder verstohlen zu Rocko rüber. Er sieht einfach fantastisch aus. Er trägt ein wunderschönes blaues Cordjacket, ein dunkles Hemd (leicht aufgeknöpft) und dazu ein passendes Tuch um den Hals. Ebenfalls wunderschön. Ich komme mir mit meinem Jeanskleid furchtbar spießig vor. Möglichst unauffällig ziehe ich mir eine Haarsträhne ins Gesicht, vielleicht sieht das zumindest etwas verrucht aus.
Rocko rührt in seinem Tee und sieht mich erwartungsvoll an.
»Es geht also um die Liebe«, sagt er und lächelt. Ach, dieses Lächeln. Ich könnte dahinschmelzen. Ob ich ihn gleich fragen soll, wann und wo wir uns mit seinen Freunden treffen? Ach Blödsinn, das wird sich ja nachher von selbst ergeben.
»Genau«, sage ich und versuche, so erotisch wie möglich zu lächeln. (So erotisch, wie man in dieser Eckkneipe eben lächeln kann. Warum hat er bloß diesen Treffpunkt gewählt, ich glaub es nicht. Halt, ich muss mich konzentrieren.)
»Ich würde vorschlagen, wir steigen sofort mitten im Thema ein. Würdest du sagen, dass es die große Liebe überhaupt gibt?«
»Natürlich gibt es sie. Aber nur wenige erleben sie. Der Individualismus steigt, die Eigenverwirklichung steht an der höchsten Stelle. Das alles macht es schwierig.«
Oh nein, ich höre Enttäuschung in seiner Stimme. Ob es zu forsch wäre, wenn ich ihm jetzt gleich sage, dass ich mich mehr oder weniger schon verwirklicht habe und ihm somit die echte Liebe selbstlos schenken könnte? Meine echte Liebe? Nein, das sag ich ihm besser später, wenn wir die Location gewechselt haben. So etwas Tiefgreifendes muss man sich ins Ohr raunen.
»Gibt es denn deiner Meinung nach einen Unterschied zwischen Frauen und Männern, was die Liebe angeht?«
Was für eine Vorlage. Er könnte »Ach was, wenn man liebt, dann liebt man. Da sind alle Menschen gleich« antworten und mir dabei tief in die Augen sehen.
»Auf jeden Fall«, sagt Rocko. »Zumindest, was das Fremdgehen betrifft.«
»Was sagst du?«, stottere ich. Habe ich etwas von Fremdgehen gehört? Wie meint er das nur?
»Wenn ein Mann fremdgeht, bleiben seine Gefühle zu der Beziehung häufig vollkommen unangetastet. Frauen können das meistens nicht voneinander trennen.«
Ich schlucke. Frauen wollen es gar nicht, möchte ich am liebsten sagen. Ich bin entsetzt. Rocko will fremdgehen?
Aber mein Gott,
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