Fraeulein Jensen und die Liebe
selbstverständlich auf den Punkt, als würde er erklären, wie eine Kaffeemaschine funktioniert. Kaffeepulver oben rein, Kaffee unten raus. Erfahrungen oben rein, Liebe unten raus.
Nachdem ich mich wieder gesammelt habe, geht unser Gespräch weiter. Es folgen: 120 Minuten Lebensberatung.
Kevin Tarte erzählt, dass er an die Liebe glaubt, auch an die große. Natürlich gebe es auch Enttäuschungen im Leben. Aber es führe zu nichts, seine Energien wieder und wieder in Enttäuschungen zu stecken. Besser in etwas Neues investieren. Es gehe immer weiter.
Ich schweige und schmachte.
Er erzählt, dass man sich nur auf das Leben einlassen müsse. Dass es immer eine Lösung gebe, für jedes scheinbar noch so unüberwindbare Problem.
Ich schmachte. Und frage: »Optimist?«
»Auf jeden Fall«, sagt Kevin Tarte und lacht. Der nächste Schritt komme immer von allein, man müsse sich nur auf seine Intuition verlassen. »Das Leben ist wie ein Bach, von dessen Strömung man mitgezogen wird. Es bringt nichts, gegen die Strömung anzukämpfen. Das Wichtigste ist: loszulassen. Und dass man darauf vertraut, dass die Zweige und Äste am Ufer immer eine Stütze sind, an der man sich festhalten kann.«
Ich schweige und schmachte.
Kevin Tarte erzählt weiter, dass in der heutigen Welt andere Werte als Profit, Gier und Konsum immer wichtiger werden. Er sei oft im Zug unterwegs und lächle dann immer die Fahrgäste an. »Warum lächelt man nicht viel mehr im Leben?«, fragt er.
Ich lächle. Und schweige.
»Warum lernen die Kinder in der Schule nicht, wie Emotionen funktionieren?«, fragt Kevin Tarte. »Sie sitzen vor dem Gameboy und beantworten sechzehn SMS in der Stunde. Wie soll man da Zeit haben, herauszufinden, was man wirklich will?«
Ach, denke ich. Das könnte man bei eigenen Kindern ja durchaus anders machen. Sage aber nichts. Sondern höre zu.
»Aber die Erwachsenen sind oftmals auch keine Vorbilder. Viele wissen genau, was Brad Pitt isst, aber nicht, was sie selbst essen.«
Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Ich habe auch schon mal im Netz recherchiert, welches Parfum Jennifer Lopez trägt. Und welche Jeansmarke Cameron Diaz kauft. Ich schwöre: Das tue ich nie wieder.
Kevin Tarte wirkt dermaßen ausgeglichen und ruhig, dass ich mir neben ihm vorkomme wie ein hyperaktives Kind mit Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom. Es muss doch etwas geben, das ihn aus dem Gleichgewicht bringen könnte.
»Was würde passieren, wenn Sie morgen aufwachen und feststellen, dass Ihre Stimme plötzlich weg ist?«, frage ich. Gewagt.
Kevin Tarte lacht. »Das wird nicht passieren.«
Ich gehe einen Schritt weiter. »Haben Sie Angst vor dem Tod?«
»Ach was, der gehört zum Leben dazu. Nicht der Rede wert«, sagt er und lacht. Außerdem gebe es doch Wiedergeburt, sei also alles halb so wild.
Ob ich an der Seite von Kevin Tarte auch so werden würde? So gelöst? So angstfrei? So gelassen?
»Machen Sie eigentlich auch noch etwas anderes als Musical?«, frage ich. Es würde mich nicht wundern, wenn er antwortet: »Nun, der Dalai Lama nimmt ab und an ein paar Nachhilfestunden bei mir. Das ist aber auch schon alles.«
»Ja, ich arbeite gerade an einem neuen Album, das im nächsten Jahr erscheint. Das hat so gar nichts mit Musical zu tun.«
»Und was sind das dann für Lieder?«, frage ich und sehe, wie Kevin Tarte den Mund aufmacht. Und singt. Eine wunderbare Melodie auf Italienisch.
»Mi Mancherai aus ›Il Postino‹. Gefällt’s Ihnen?«
Ich schaffe es gerade, ein »Und ob!« herauszubringen, als die Tür aufgeht. »Kevin, die Show beginnt gleich. Du musst dich schnell fertigmachen«, sagt eine Frau und sieht mich streng an. Wie herrlich, dass Hannah Jensen aus Klixbüll mal der Grund sein würde, warum Kevin Tarte es nicht rechtzeitig in die Vorstellung schafft.
»Gib uns noch zwei Minuten, ja?«, sagt Kevin Tarte, woraufhin die Frau schweigend den Raum verlässt und dabei den Kopf schüttelt.
»Haben Sie alle Antworten bekommen?« Er sieht mich an.
»Ja«, sage ich, dabei möchte ich am liebsten erwidern: »Es sind allerdings noch mehr Fragen aufgetaucht: Wann heiraten wir? Nimmst du meinen Namen an? Wie viele Kinder wollen wir?« Ich sage nichts.
Kevin Tarte begleitet mich noch zur Stage Door. »Ach ja, schreiben Sie sich mal zwei Bücher auf.«
»Bin ich damit erleuchtet?«, frage ich und lache.
»Nein, aber Sie können mit ihnen die Handbremse für Ihr Leben lösen.«
Er lacht. Ich lache. Er umarmt mich.
Ich schwebe
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