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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hansen
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Zuschauer dachten spätestens jetzt, dass ich doch Teil des Zirkus war. Wenn schon nicht die chinesische Verrenkungskünstlerin, dann eben Mitglied einer Clown-Gruppe.
    Die Vorstellung war, ich muss es zugeben, phänomenal. Eine Gruppe aus Russland riskierte auf dem Drahtseil ihr Leben, drei Frauen, die alle aussahen wie Heidi Klum, liefen wie die Wahnsinnigen Rollschuh und chinesische Turnerinnen balancierten auf dem Einrad und hatten dabei Töpfe auf dem Kopf.
    Je weiter die Vorstellung voranschritt, desto klarer wurde: Das hier ist irgendwie eine andere Welt. Eine, die Galaxien von mir entfernt ist. Während eine Frau sich in der Manege verrenkte, versuchte ich auch, das Möglichste aus meinem Körper herauszuholen. Ich schlug mein linkes Bein über das rechte und wickelte dann den Unterschenkel des linken Beins noch einmal um den Unterschenkel des rechten Beins. Das war der Zenit meines akrobatischen Könnens. Ich stellte mir vor, wie der Zirkusdirektor mich ansagen würde: »Und nun, meine Damen und Herren, begrüßen Sie bitte Hannah Jensen, die ihre Beine übereinanderschlagen kann.«
    Ich dachte gerade noch darüber nach, ob man meinen »Trick« irgendwie noch weiterentwickeln könnte, als die Elefantennummer angesagt wurde. Elefanten, schrillte es in meinem Kopf. Das machte doch die Auserwählte von meinem Auserwählten. Und tatsächlich: Elfengleich schwebte plötzlich eine schlanke, zarte Frau herein, schwang die Peitsche und die Elefanten drehten sich wie auf Knopfdruck im Kreis. Die Frau hatte lange, glatte, glänzende, schwarze Haare wie aus der Werbung, bei denen man immer sicher ist, dass die Fotos retouchiert sind. Noch dazu stolzierte sie einwandfrei auf atemberaubenden High Heels. Ich habe schon Schwierigkeiten, auf zwei Zentimeter hohen Absätzen einigermaßen zu gehen. Kurz: Die einzige Gemeinsamkeit zwischen dieser Frau in der Manege und mir war unser Geschlecht. Wäre ich an Martin Laceys Stelle gewesen, hätte ich auch die genommen und nicht mich. Das musste ich wohl akzeptieren.
    Nach der Pause kam dann noch der Meister selbst. Er trug eine hautenge Lederhose, bewegte sich im Käfig so elegant und schnell wie seine Tiere und lobte die Löwen, wenn sie etwas gut gemacht hatten, mit »good girl«. Das hätte er doch auch so schön einmal zu mir sagen können. Aber, nein, nicht träumen. Ich kann nur meine Beine übereinanderschlagen, ich kann nicht auf hohen Schuhen gehen und wahrscheinlich bin ich immer noch der Zeltmuffel, als der ich mich bei dieser Internetplattform einmal geoutet habe. Ich gehörte nicht hierhin. Kurz. Schluss. Aus. Akzeptieren und weitersuchen.
     
    Ich krabble aus dem Bett und packe schnell meine Koffer zusammen. Natürlich habe ich für zwei Tage München so viel dabei, wie Großfamilien auf RTL II hinter sich herschleppen, wenn sie nach Brasilien auswandern und dabei von drei Kamerateams begleitet werden.
    »Und? War Ihr Besuch erfolgreich?«, fragt die Rezeptionistin.
    »Ja, sehr«, sage ich. »Ich weiß jetzt zumindest, dass ich doch nicht Stéphanie von Monaco bin.«
     

5. Bernhard Hoëcker und Kichern in Ritterhude
     
    Als ich vor ein paar Wochen durch Hamburg lief, kam mir eine junge Frau entgegen, die ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Gute Männer sind entweder schwul oder vergeben« trug. Sie stand an einer Kreuzung, starrte – wie ich mir einbildete – verzweifelt auf die Ampel und wartete – wie ich mir inzwischen ganz sicher war – vollkommen niedergeschmettert darauf, dass es endlich grün wurde.
    Wie traurig, habe ich damals gedacht. Wenn man schon mit so einem T-Shirt durch eine öffentliche Fußgängerzone läuft, muss man viel erlebt haben. Und vor allem viele Enttäuschungen. Dieses T-Shirt schien geradezu herauszuschreien: »Ich bin verlassen worden. Ich bin verarscht worden. Ich bin unglücklich. Ich habe keine Illusionen mehr.« Halt, anstelle der Punkte zwischen den Sätzen muss ein Ausrufezeichen stehen. Dieses T-Shirt sprach eindeutig in Ausrufezeichen.
    Heute muss ich sagen: Genau dieses T-Shirt brauche ich! Und: Ich möchte noch einen Satz hinzufügen: »Gute Männer sind entweder schwul oder vergeben oder gar nicht existent.«
    Wie viel muss ein Mensch noch ertragen können?
    Ich verabrede mich mit Pia zur Krisensitzung. Ich habe das Gefühl, dass mein Leben momentan ausschließlich daraus besteht, alle drei Tage Pia mit Tränen in der Stimme anzurufen, und wir danach konzentriert die nächsten Schritte besprechen. Zwischen meinen

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