Fraeulein Jensen und die Liebe
entzückenden Brautpaar malen. In einer halben Stunde sammeln Margot und ich die Werke dann ein und hängen sie hier auf.« Der Mann mit den wilden Locken strahlte und Margot hievte eine riesige Leinwand in den Saal. Danach wurde schließlich das Unheil verteilt: Stifte und Zettel.
»Das ist doch mal eine reizende Idee«, säuselte meine Tischnachbarin wieder. »Finden Sie nicht?«
Ich verschluckte mich am Sekt und bekam einen Hustenanfall wie Katjas Opa, der alle zehn Minuten hochrot anlief und Joachims Bruder, Internist, jedes Mal in Alarmbereitschaft versetzte.
»Doch, doch, ganz wunderbar«, sagte ich schnell, als ich wieder bei Atem war.
Um mich herum wurde schon gezeichnet, was das Zeug hielt. Mein Tischnachbar gegenüber, ebenfalls aus der Malgruppe der Volkshochschule, arbeitete sogar mit Ausschattierungen und lieh sich bei der Kellnerin noch einen blauen Kugelschreiber, um auch »farblich mehr Tiefe hineinzugestalten«. Es half nichts. Auch ich malte. Es würde ja sowieso in der Anonymität der Masse verschwinden, schließlich beinhaltete diese »reizende Idee« nicht, den Namen des Künstlers auf dem Bild zu verewigen.
Margot und der Mann mit den Locken sammelten schließlich fröhlich und aufgeregt die Bilder ein und hängten sie an die Leinwand.
Hätten wir das, dachte ich.
Zu früh gefreut.
Margot ergriff nun das Mikro. »Und jetzt haben wir uns noch ausgedacht, dass wir die außergewöhnlichsten Werke heraussuchen werden und der Künstler seine eigene Interpretation zum Besten geben wird.« Sie strahlte, Katja klatschte wie wild in die Hände und mir schwante Böses.
Zu Recht.
Nachdem erst die Schattenradierung meines Tischnachbars besprochen worden war, kam die Karikatur von Katjas Tante an die Reihe. Wenn ich so ein Talent hätte, würde ich nicht hier auf der Hochzeit sitzen, sondern ein Vermögen in Paris auf dem Montmartre verdienen, dachte ich, während ich die Zeichnung neidisch bewunderte.
Und dann:
»Hier haben wir ja auch noch etwas ganz Entzückendes«, sagte Margot und pickte mein Bild von der Leinwand. Mir wurde schlecht.
Die gesamte Hochzeitsgesellschaft johlte auf, ein Mann rechts vor mir schlug sich sogar vor Lachen auf die Schenkel.
Margot ging zielstrebig auf Katjas vierjährige Nichte zu, Mia.
»Mia«, sagte sie und hockte sich hin. »Hast du das gemalt?«
Mia schüttelte den Kopf und bohrte in der Nase.
»Du kannst doch ruhig sagen, dass du es warst.« Margot lächelte Mia aufmunternd zu.
Mia schüttelte wieder den Kopf und vergrub sich im Schoß ihrer Mutter.
Auch diese hatte anscheinend nicht mitbekommen, dass ihre liebreizende Mia dieses Scheusal von Bild nicht fabriziert hatte, denn sie sagte plötzlich: »Mia, das Bild ist doch toll geworden. Du bist doch erst vier. Dafür ist das ganz ganz toll geworden.«
Als Mia nun hysterisch anfing zu weinen, schritt ich ein.
»Ich war es.« Ich stand auf und fühlte mich wie vor Gericht, wo plötzlich ein scheinbar unbeteiligter Zuschauer gesteht, die Frau kaltblütig erwürgt, zersägt und vergraben zu haben.
Pia tippt auf Stift und Zettel. »Los geht’s.«
»Und was soll ich bitte malen? Halt, sag nichts. Ich habe eine Idee. Ich male einfach mal drauflos, und der Mann, der bei Sotheby’s am meisten für dieses einzigartige Kunstwerk bietet, ist mein Traummann.«
»Sei doch nicht gleich beleidigt. Ich habe diese Methode in einer amerikanischen Psychozeitschrift gelesen. Das funktioniert immer, stand da.«
»Also?«
»Okay, du malst jetzt den Mann deiner Träume. Du hast dafür zwei Minuten Zeit. Und dann schreibst du spontan eine Eigenschaft, die dir an einem Mann am wichtigsten ist, in Großbuchstaben daneben.«
»Eine?« Mir fallen auf Anhieb hundert Eigenschaften ein, da müsste man schon ein leinwandgroßes Gemälde draus machen, mit dem man den Reichstag verhüllen könnte.
»Ja, eine. Das ist wichtig. Denn damit offenbart sich anscheinend, worauf es tief im Innern am meisten ankommt.«
»Und warum ist es so wichtig, das Wort in Großbuchstaben zu schreiben?«
»Mein Gott, das stand da so. Nimm doch einfach mal an, was man dir sagt.« Pia lacht. Sehr witzig. Mir ist überhaupt nicht zum Lachen zumute. Ich kann weder malen, noch kann ich meinen Traummann auf eine Charaktereigenschaft reduzieren. Und wenn ich in Großbuchstaben einfach AUSSEHENWITZCHARMEGELDSENSIBELINTELLIGENT schreibe? Merkt kein Mensch. Na ja, Pia vielleicht.
Ach, was soll’s. Ich male. Ich würde wahrscheinlich auch nackt um die
Weitere Kostenlose Bücher