Fraeulein Jensen und die Liebe
Straßenkünstler gesehen. Der hat auch ganz viel Wasser auf ex getrunken und es dann wieder Tropfen für Tropfen herausgespuckt, wie ein lebender Springbrunnen. Ob ich das wohl auch kann? Mein Bauch sieht auf jeden Fall einsatzbereit aus. Dank der brisanten Mischung aus Kohlensäure + Auf-ex-Trinken hat er die Größe des Trevi-Brunnens in Rom angenommen. Oje. Jetzt erinnere ich mich. In der Meldung über Cameron Diaz’ Vorbereitung auf die Oscar-Verleihung stand, dass sie niemals kohlensäurehaltige Getränke trinkt, sondern nur stilles Mineralwasser und Säfte.
Schwacher Trost: Ich sitze. Der Tisch verdeckt tapfer meinen Bauch, der aussieht, als würde ich jeden Moment Drillinge gebären. Na ja, zumindest schwitzt die werdende Mama nicht mehr so doll. Mit einem unbezwingbaren Blähbauch geht es ins Gespräch mit dem zukünftigen Vater.
Zum Glück weiß ich, mit welchem (jugendfreien!) Thema ich beginnen werde. Die Idee dazu kam mir, als ich heute Morgen im Zug nach München saß. Ich war dermaßen aufgeregt, weil ich bald meine Jugendliebe Tim Lobinger treffen würde, dass ich einen unglaublichen Redebedarf hatte. Pia fiel leider aus, da der Empfang von meinem Handy nach drei Sätzen immer abbrach und wir über »Wo bist du?«, »Wie begrüß’ ich ihn ...« und »Was mach ich, wenn ...« nicht hinausgekommen sind. Als die Schaffnerin kam, um die Fahrkarten zu kontrollieren, wollte ich ihr am liebsten sagen, dass ich in ein paar Stunden Tim Lobinger treffen würde. Aber sie stempelte die Karte in einem derartigen Affentempo ab, dass ich keine Zeit hatte, das Gespräch galant auf Tim zu lenken.
Ich hatte wieder einen Vierertisch. Gegenüber von mir saß ein Geschäftsmann (geschätzte 40) mit Laptop auf dem Schoß und – meistens – Handy am Ohr. Bis jetzt hatten wir noch kein Wort gewechselt. Aber das konnte sich ja ändern.
»Hallo, sehen Sie den Mann dahinten?«, fragte ich. Keine Reaktion. Er tippte weiter auf der Tastatur vor ihm. »Hallo?«, rief ich etwas lauter. Na endlich, er sah hoch.
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie störe. Aber sehen Sie den Mann dahinten?« Ich zeigte auf einen Mann, der am Ende des Großraumabteils saß und in einer Zeitschrift blätterte.
»Ich hätte schwören können, dass das Tim Lobinger ist«, sagte ich und lachte aufgesetzt. »Aber dann habe ich gesehen, dass es Tim Lobinger gar nicht ist.« Ich kicherte verlegen. »Oh entschuldigen Sie, kennen Sie Tim Lobinger überhaupt? Den Stabhochspringer?«
Auf so eine gekonnte Überleitung muss man erst einmal kommen. Zugegeben, der Mann, auf den ich gezeigt hatte, war dick, hatte eine Halbglatze und war etwa 60 Jahre alt. Aber er war nun einmal das einzige männliche Wesen in diesem Abteil, und außerdem hatte ich ja gesagt, dass es Tim Lobinger gar nicht ist. Manchmal habe ich wirklich gute Ideen, dachte ich. Und tatsächlich: Das Eis schien gebrochen zu sein.
»Erstens: Ich kenne Tim Lobinger. Und zweitens: Der Mann da drüben hat so wenig Ähnlichkeit mit Tim Lobinger wie der Eiffelturm mit dem Brandenburger Tor.«
Mann, ist der unwirsch, dachte ich. Aber zum Glück: Er kannte Tim Lobinger! Na also. Wenn ich jetzt gleich sage, dass ich den heute noch treffe, wird er sicher beeindruckt sein.
»Und wie finden Sie Tim Lobinger?«
»Der kann nix«, sagte der Geschäftsmann. »Macht nur einen auf dicke Hose. Nimmt sich selbst zu ernst.« Er schüttelte den Kopf.
»Haben Sie einen Knall?« Oh Gott, ich hatte geschrien. »Ich meine, ich glaube, dass er total sympathisch ist«, sagte ich leise, aber bestimmt.
»Glauben Sie?« Der Mann stieß einen kleinen Pfiff aus und lachte. »Erst letztens habe ich ein Interview mit ihm gelesen. Da meinte er sogar selbst, dass man sein Auto zerstören würde, wenn er einen Aufkleber drauf hätte mit ›Dieses Auto gehört Tim Lobinger‹. Sehen Sie, der weiß, dass man ihn hasst.«
»So ein Blödsinn«, sagte ich trotzig, »Sie kennen ihn ja gar nicht.«
»Nö, aber Sie etwa?«
»Noch nicht, aber bald.« Ich beendete demonstrativ das Gespräch und sah aus dem Fenster. Fast hätte ich ihm noch die Zunge rausgestreckt, aber zum Glück hatte ich mich zumindest für einen Moment unter Kontrolle.
»Was willst du eigentlich von mir wissen?«, fragt Tim plötzlich und bringt mich wieder ins Hier und Jetzt. Er lächelt mich an.
Gott, meine vorbereitete Frage ist mir ein wenig unangenehm. Aber immer noch besser als »Muss dein Stab so hart sein?«.
»Du polarisierst ja
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