Fraeulein Jensen und die Liebe
vielen Menschen nach einer Bräunungssitzung erst einmal bessergehen würde. Also, ich fühle mich jedenfalls ganz hervorragend. Und das, obwohl ich an Tim Lobinger denken muss.
Pia hatte gleich nach meiner Rückkehr »Ach Mensch, schon wieder so eine Enttäuschung und dann auch noch ausgerechnet bei Tim Lobinger« gesagt und mich dann furchtbar mitleidig angesehen. Ich muss sagen: Da bin ich ganz anderer Meinung. Denn wenn man es genau nimmt, war ich ja diejenige, die gemerkt hat, dass es mit Tim und mir nicht passt und wir in zwei verschiedenen Welten leben. Zugegeben, ich habe nicht mit ihm darüber gesprochen, und streng genommen weiß er auch gar nicht, dass ich ihn zunächst toll fand und mich dann aber bewusst gegen ein sportliches Leben mit ihm entschieden habe. Trotzdem: Irgendwie kann man doch sagen, dass ich ihm einen Korb gegeben habe. Er wird sicher noch eine Weile dran zu knabbern haben. Aber was soll man machen, wenn es eben nicht passt? Man kann nichts erzwingen, sage ich immer. Das wird auch er irgendwann verstehen.
»Maria ... Maria«, singt Ricky und ich singe lautstark mit. Himmel, ich habe mich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.
Mein Handy klingelt. Und wenn Tim Lobinger nun anruft und sagt, dass er seinen Sport an den Nagel hängen würde? Nun, dann müsste ich ihm noch einmal ganz ausdrücklich sagen, dass wir leider keine gemeinsame Zukunft haben. Wie bringe ich ihm das bloß schonend bei?
Ich krabble aus dem Solarium heraus. Pia! War ja irgendwie klar. Ich nehme das Handy und hüpfe wieder zurück unter die Liege. Oder ist das schädlich, im Solarium zu telefonieren? Und wenn schon, ich halte es schließlich wie Natascha: Man lebt nur einmal.
»Wer singt denn da im Hintergrund?«, schreit Pia.
»Das ist Ricky. Ricky Martin.«
»Wo bist du denn bloß?«
»In Afrika. Aber nur noch zehn Minuten. Also schnell: Was gibt’s?«
»Hast du heute Abend schon was vor? Ich habe von einer Arbeitskollegin zwei Karten für die Show von Thorsten Havener bekommen. Dem Gedankenleser. Kommst du mit?«
Thorsten Havener? Der Thorsten Havener? Ich habe ihn vor ein paar Wochen in der Sendung »Johannes B. Kerner« gesehen. Leider habe ich den Anfang nicht mitbekommen, aber als ich einschaltete, ging er gerade mit verbundenen Augen durchs Publikum und konnte erspüren, welchen Gegenstand ein Zuschauer in den Händen hielt. Danach forderte er einen skeptischen Professor, ebenfalls Talkgast, auf, an eine wichtige Situation aus seinem Leben zu denken. Der Professor runzelte die Stirn und meinte »Na schön«. Kurz danach sagte ihm Thorsten Havener: »Sie haben 1971 einen Herrn Schmidt getroffen, der für Ihre weitere Karriere sehr wichtig war.« Richtig. Wahnsinn. Der Professor war überzeugt und ich schon längst.
Ach ja: Dieser Thorsten Havener sah zu allem Überfluss noch unverschämt gut aus.
Konnte also nicht schaden, ihn einmal aus der Nähe zu sehen.
»Ja, natürlich. Ich bin dabei. Bis später! Ich freu mich!« Ich lege auf.
Ach herrlich, manchmal klappt aber auch alles im Leben. Ich werde bald aussehen wie eine karibische Schönheit, heute Abend werde ich einen Gedankenleser treffen, und es kann nur noch eine Frage der Zeit sein, bis ich einen Traummann mein Eigen nennen darf. Diese Traummannsuche ist wirklich die beste Idee, die in meinem Hirn je gereift ist. Ich schwebe aus dem Solarium, Natascha ruft »Bis bald!« und ich winke ihr fröhlich mit meiner Golden Club Card zu.
»Okay, du achtest auf seine Ohren. Bestimmt hat er darin einen Knopf, durch den ihm ein Mitarbeiter die Informationen zuflüstert. Ich suche währenddessen versteckte Monitore und Kameras.«
Pia sieht wie Miss Marple aus, die bei einem Kriminalfall kurz vor dem entscheidenden Durchbruch steht. Sie guckt sich immer wieder verstohlen um und knufft mich wissend in die Seite, als ein Mann ein Glas Wasser aufs Rednerpult stellt.
»Aha, wusste ich es doch«, raunt sie.
»Pia, das ist nur ein Glas Wasser.«
»Du wirst schon sehen«, sagt sie trotzig. »Der arbeitet mit Tricks.«
Es sind noch zehn Minuten, bis die Show anfängt. Thorsten Havener ist zwar weit und breit noch nicht zu sehen, aber Pia hat schon das Motto dieses Abends verkündet: »Wir entlarven diesen Menschen.«
Pia hatte noch nie Sinn für solche Dinge. Als wir alle in der achten Klasse regelmäßig mit der Mutter von Christina Radlewski Gläserrücken spielten, blieb Pia demonstrativ zu Hause. Jahre später verbot sie mir ernsthaft, die
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