Fraeulein Jensen und die Liebe
einer kurzen Schockstarre schreie auch ich: »Waaaaaas? Das stimmt!!!! Wie geht das????« Das Publikum jubelt und klatscht wild. Ich könnte mich in Grund und Boden schämen. Da habe ich meine fi fteen minutes of fame und alles, was ich sage, sind diese schrillen, unkoordinierten, eher mittelmäßig gehaltvollen Ausrufe: Waaaaaas? Das stimmt!!!! Wie geht das????
Thorsten Havener lächelt milde und gibt mir wieder die Hand. »Danke, dass Sie mitgemacht haben.«
Ich weiß nicht, wie ich wieder zu meinem Platz komme. Gefühlschaos macht sich breit.
Das funktioniert ja wirklich.
Der Mann ist großartig.
Er macht mir Angst.
Ich muss ihn haben.
»Du hättest mir ruhig sagen können, dass du ihn vorher getroffen hast und ihm den Namen Elvis gesteckt hast«, zischt Pia mir erbost zu, als ich wieder neben ihr sitze.
»Pia, das habe ich nicht. Ich schwöre«, flüstere ich zurück und drücke den Zeige-und den Ringfinger meiner linken Hand zusammen. Seit unserem sechsten Lebensjahr ist das unser Spezialschwur und bedeutet so viel wie »Okay-manchmal-lüge-ich-aber-diesmalwirklich-wirklich-wirklich-wirklich-nicht«. Damals war Pias Lieblings-Benjamin-Blümchen-Kassette (er rettet einen Zirkus, indem sein Rüssel einen abgebrochenen Mast ersetzt, Wahnsinnsidee!) mit einer Folge von Bibi Blocksberg überspielt worden. Natürlich hatte sie sofort mich in Verdacht, schließlich war ich überzeugte Bibi-Blocksberg-Anhängerin. Irgendwann klärten wir diesen Fall, der – wie wir fanden – eigentlich eine Sache für die Polizei war, auf: Pias Bruder Matthias war der Übeltäter.
»Oh mein Gott. Dann ist das ja wirklich unheimlich.« Pia reißt angsterfüllt die Augen auf, als sie meinen Spezialschwur sieht. Sie nimmt meine Hand, und völlig aufgewühlt versuchen wir, uns noch einigermaßen auf den Rest der Show zu konzentrieren.
Eine Stunde später bedankt sich Thorsten Havener für unsere Aufmerksamkeit und verlässt die Bühne. Wie harmlos er jetzt wirkt. Dabei haben sich in den vergangenen zwei Stunden 250 Frauen in ihn verliebt und 250 Männer sind zu unberechenbar eifersüchtigen Wesen mutiert.
»Wie gut, dass mein Mann nicht dabei war«, sagt meine Sitznachbarin. »Dieser Mann hat ja so viel Charisma und Ausstrahlung, da weiß man ja gar nicht, wohin mit seinen Gefühlen.« Sie gluckst vergnügt.
Das sehe ich genauso und gehe zielstrebig zum Büchertisch. »Ich weiß, was du denkst« heißt das Buch von Thorsten Havener, das ich natürlich unbedingt gleich kaufen muss. Auf dem Cover ist Thorsten Havener zu sehen, der mit seinen stechend grünen Augen nahezu aus dem Buch heraustritt.
»Guck mal, Pia, wenn ich das Buch so schräg halte, dann sieht er genau mich an.« Ich strahle.
»Oje, ich ahne Böses.« Pia schüttelt heftig den Kopf.
»Bitte, bitte, bitte, ich muss ihn kennenlernen. Bitte, bitte, bitte«, sage ich flehend. »Wir würden sozusagen eine Neuauflage von David Copperfield und Claudia Schiffer abgeben. Die waren sogar verlobt.« Dieses schlagende Argument muss Pia doch überzeugen.
»Ja, stimmt, die Ähnlichkeit mit Claudia Schiffer ist auch wirklich frappierend«, sagt Pia. »Aber bitte, Hannah, du willst anscheinend ein gebrochenes Herz riskieren. Dieser Herr Gedankenleser wird Traummann Nummer sieben.« Sie schüttelt den Kopf. »Was tue ich hier bloß? Ich werde gerade zur Mittäterin. Wenn mich irgendwann die Polizei fragt, ob ich dich nicht aufhalten konnte, muss ich sagen: Selbst in einer fünf Quadratmeter großen Gefängniszelle mit Zwangsjacke wäre sie nicht zu stoppen gewesen.«
Ich strahle wie ein Breitmaulfrosch und vor dem Büchertisch besiegeln wir meine baldige Verlobung.
Pia hätte mich aufhalten müssen. Es wäre ihre verdammte Pflicht gewesen. Sie hätte mich vom Büchertisch wegzerren müssen. Nein, falsch. Sie hätte mich gar nicht erst anrufen dürfen, um mich zu fragen, ob ich mit zur Show komme. Dann würde ich nämlich immer noch glücklich und zufrieden im »African Dream« liegen und im seligen Glauben, dass ich bald das große Glück finde, braun brutzeln.
Aber so?
Gebrochenes Herz.
Gebrochenes Herz totale.
Als ich nach der Show wieder zu Hause war, spürte ich eine nahezu übersprudelnde Energie in mir. Ich machte die Agentin von Thorsten Havener im Internet ausfindig und formulierte meine »Ich-würde-gern-ein-Interview-führen-wann-hat-er-so-schnell-wie-möglich-Zeit-mit-besten-Grüßen«-Mail. »Erledigen Sie Dinge sofort und Sie werden sich sofort
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