Fraeulein Jensen und die Liebe
Supermarkt, in der Straßenbahn oder im Café kennenlernen? Dann hätte ich wenigstens eine reelle Chance, mitzuhalten.
Anderer Vorstoß.
»Was ist Ihnen wichtig an Frauen?« Vielleicht antwortet er ja jetzt etwas Erreichbares wie »guter Büchergeschmack« oder »lange Haare«.
»Das Wichtigste ist die Toleranz. Ich finde es furchtbar, wenn Frauen einen Mann nach ihrem Geschmack formen und verändern wollen.«
Ich sagte, heftig nickend, »Das sehe ich genauso« und dachte: »Ist er wahnsinnig? Jede Frau will ihren Mann formen.« Stefan bequatschte ich so lange, bis wir regelmäßig die Titanic-Szene auf unserem Balkon nachspielten und er mich wie Kate Winslet über das Geländer hielt. Aus Biertrinker Michael machte ich einen Weinkenner und Jens kleidete ich im Laufe unserer Beziehung komplett neu ein. Als wir uns kennenlernten, trug er Pullover mit Strickbündchen und schlecht sitzende Jeanshosen. Als wir uns trennten, war Jens der am besten angezogene Mann in ganz Hamburg. Er wurde sogar mal von einem Stadtmagazin auf der Straße fotografiert und musste einen Steckbrief ausfüllen, in dem nach seinen »Lieblingslabels« gefragt wurde und dem »Outfit, ohne das ich nicht mehr leben kann«. Kurz: Ich hatte diesen Mann zu einer Stilikone aufgebaut und auf dem Zenit seines Aussehens trennte er sich von mir. Ich habe mir geschworen, dass ich den nächsten Mann zu Beginn unserer Beziehung einen Vertrag unterschreiben lasse: »Sollte ich, XY, die Beziehung zu Hannah Jensen von mir aus beenden, verpflichte ich mich hiermit, ihr all die Klamotten auszuhändigen, die sie mir ausgesucht hat und die ich mir ohne sie nicht im Traum gekauft hätte, denn ich habe keinen Geschmack. Gezeichnet XY.«
Nein, so etwas wie mit Jens passiert mir nicht noch einmal. Aber bei Thorsten Havener hätte ich da gar nicht viel zu tun. Ich betrachtete ihn eingehend. Der Mann hat Geschmack. Schwarzes Hemd, top gebügelt, teure Uhr am Handgelenk, perfekt sitzende Haare, schöne Augenbrauen und – ich schielte unter den Tisch – auf Hochglanz geputzte Lederschuhe, die er sicher in einer kleinen Seitenstraße in Rom gekauft hat. Kurz: Der Mann hatte Stil.
»Ach ja«, sagte Thorsten Havener plötzlich. »Ein wenig Stil ist natürlich auch nicht schlecht.«
Er konnte Gedanken lesen!
»Bitte?«
»Na, Sie fragten doch, was ich an Frauen mag: Stil. Weiße Tennissocken zu Sandalen gehen zum Beispiel nicht.« Thorsten Havener lachte.
Juchhu, endlich konnte ich punkten: Ich trug weder weiße Tennissocken noch Sandalen. Ein glatter Doppelerfolg also. Ging doch.
Ich fasste neuen Mut. Auf die Tennissocken musste man doch aufbauen können. Aber wie???
Leider kam es nicht dazu, dass ich tiefer gehende Weisheiten zum Themenkomplex »Tennissocken zu Sandalen« von mir geben konnte. Denn unsere – wie ich fand – zart knospende Liebe fand ein jähes Ende: Ein Taxifahrer klopfte von außen an die Scheibe.
»Huch, der ist wohl für mich«, sagte Thorsten Havener. »Ich muss zum Flughafen. Mein Flieger geht gleich. Aber wenn Sie mögen, kommen Sie doch mit. Dann können wir uns dort noch ein wenig weiterunterhalten.«
Für mich kam das Angebot, mit ihm zum Flughafen zu fahren, einer Liebeserklärung gleich. Ich fand, dass die Sätze »Aber wenn Sie mögen, kommen Sie doch mit« und »Für Sie verlasse ich meine Frau« vollkommen identisch klangen.
»Ja, das müsste sich einrichten lassen«, sagte ich betont beiläufig, während ich im Innern hysterisch »Ja, ja, ja, ja, ja!« schrie.
»Ich fahre Ihnen am besten mit meinem eigenen Auto hinterher«, sagte ich ein wenig unterkühlt. Männer schätzen Frauen, die unabhängig sind. Oder die wenigstens so tun, als seien sie unabhängig. Und ich fand, jetzt nicht willenlos zu ihm ins Taxi zu steigen, sondern vollkommen emanzipiert mit dem eigenen Auto hinterherzufahren, war mindestens genauso revolutionär eigenständig wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung. Weiterer Pluspunkt: Ich hatte während der Autofahrt noch Zeit, Pia anzurufen und die nächsten Schritte zu besprechen. Vielleicht konnte sie auf die Schnelle noch einen einfachen Zaubertrick im Internet recherchieren und mir via Telefon beibringen. Am Flughafen könnte ich dann sagen: »Sehen Sie mal, ich kann dieses Geldstück im Ärmel verschwinden lassen. Vergessen Sie doch einfach mal Ihre Ehefrau.«
Thorsten Havener holte seine Koffer und gemeinsam gingen wir auf den Hotelparkplatz. Dort, wo das Taxi wartete (neuer Mercedes,
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