Fraeulein Jensen und die Liebe
unter die Arme«). Dann öffnete ich leicht den Mund und drehte abwartend den Kopf zur Seite.
»Geht’s dir gut?«, fragte Pia und starrte mich entsetzt an.
»Durchaus«, sagte ich wieder mit fester Stimme. Mein Gott, sie war aber auch schwer von Begriff. Eigentlich sah mein Plan vor, dass wir uns ganz normal unterhalten und sie mich am nächsten Tag anrufen würde: »Sag mal, du warst gestern so anders. Versteh mich nicht falsch. Anders im positiven Sinne. So gut haben wir uns ja wirklich noch nie verstanden.« Und dann, so dachte ich, konnte ich mit den abgesegneten Hightech-Waffen meines Körpers endlich auf Traummann Thorsten Havener losgelassen werden.
Pia starrte mich immer noch entgeistert an. Ich musste das nächste Ass aus dem Ärmel ziehen.
Ich neigte langsam den Kopf nach vorne und blickte ihr dann von unten nach oben fest und gleichzeitig sinnlich in die Augen.
»Hannah, ich ruf jetzt gleich einen Arzt, wenn du mir nicht sofort sagst, was los ist.«
»Wirke ich jetzt nicht unglaublich weiblich??«
»Nein. Du wirkst nur unglaublich verkrampft. Also, was ist los??«
Ich gab auf. Und erzählte Pia von dem Buch, dem Kapitel mit der Körpersprache und meinem genialen Schachzug, Thorsten Havener mit seinen eigenen Strategien zu erobern.
»Sei einfach du selbst«, sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit in ratloser Stille und stürzte mich damit in eine tiefe Sinnkrise. Das konnte ja nur schiefgehen.
Am nächsten Tag ratterte ich mit meinem 29 Jahre alten Ford Fiesta zum Interview ins Hotel. Im Winter dauert es zwanzig Minuten, bis er anspringt, im Sommer nur zehn. Und auf jeder vierten Kreuzung bleibt er stehen, und ich lache gequält aufgebrachten türkischen Dreier-BMW-Fahrern im Rückspiegel zu, die fluchend hinter mir stehen. Das ist also mein Auto. Normalerweise leihe ich mir für wichtige Termine (Besuch bei den Eltern, erste Dates, zweite Dates) Pias Smart aus. In Cremeweiß. Doch dieses Mal hatte ich mich schweren Herzens, aber durchaus bewusst dagegen entschieden. Schließlich würde ein tiefer Blick von Thorsten Havener in meine Augen reichen, um den ganzen Schwindel gnadenlos aufzudecken.
Das Gebot der nächsten Stunde lautete wohl: keine Geheimnisse. Und das ausgerechnet beim ersten Date! Eigentlich ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Denn gerade bei ersten Dates neige ich dazu, es mit der Wahrheit nicht ganz so genau zu nehmen. Als Kameramann Michael mir bei unserem ersten Treffen von seiner letzten Wanderung ans arktische Meer vorschwärmte und ich ihm nicht von meinem Pauschalurlaub auf Teneriffa erzählen wollte, kamen plötzlich diese Worte aus meinem Mund: »Ich habe mal an einem Schlittenhunderennen in Finnland teilgenommen, das war auch eine unglaublich tolle Erfahrung.« Michael kannte sich dummerweise ge nau mit diesem Thema aus; er hatte erst vor einem Jahr an einem Rennen in Kanada teilgenommen! »Hattest du auch erst Probleme mit der Tandem-Einspannung?«, fragte Michael und sah mich so interessiert an wie den ganzen Abend noch nicht.
Ich schluckte und sagte: »Ich möchte lieber nicht weiter darüber reden, das wühlt alles viel zu sehr auf. Die Tiere fehlen mir so furchtbar, musst du wissen.«
Die Zeit des Lebenslauf-Tunings war mit Gedankenleser Thorsten Havener wohl endgültig vorbei. Aber nun gut, ich wollte nicht jammern. Ich hatte mich ja bewusst für ihn und seine Gabe entschieden. Und: Vielleicht wäre das auch eine Befreiung für mich, weil ich endlich so sein konnte und akzeptiert wurde, wie ich wirklich war.
Ich knatterte auf den Hotelparkplatz und mir war etwas flau im Magen. Den Fiesta stellte ich in eine Ecke am Rand, ich musste ihm ja nicht sofort auf die Nase binden, dass dieses alte 500-Euro-Auto seiner zukünftigen Traumfrau gehörte.
Das Hotel lag direkt an der Alster, beste Hamburger Lage. Exklusiv und trotzdem nicht aufdringlich. Ich fand, ich passte (abgesehen von meinem Auto) hundertprozentig in diese bezaubernde Kulisse.
Zielstrebig ging ich zur Rezeption. »Ich bin mit Thorsten Havener verabredet. Können Sie ihm bitte Bescheid sagen, dass ich da bin?«
Die Frau hinter der Theke griff zum Hörer. »Er ist gleich da«, sagte sie. »Unser Fahrstuhl ist kaputt, er kommt dann die Treppe dort herunter.« Sie zeigte auf eine feenhaft geschwungene Wendeltreppe mit weißem Messinggeländer hinter mir.
Ich musste an Linda de Mols »Traumhochzeit« aus den 90ern denken. Dort warteten die Ehemänner auch immer am Fuße einer
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