Fraeulein Jensen und die Liebe
runter. Obwohl ich es mit beiden Händen umschlossen hatte, fiel es runter. Einfach so, als sei es mir von einer höheren Macht entrissen worden. Mir ist noch nie das Handy runtergefallen. Ich hob es hektisch auf. Zum Glück sah es noch ganz funktionstüchtig aus. Auf den ersten Blick zumindest. Auf den zweiten Blick stellte ich fest, dass die Tasten »4« und »5« nicht mehr reagierten.
Okay, der Start in den Tag hätte besser sein können, stellte ich nüchtern fest. Ich zwang mich zu einem aufgesetzten Lächeln (wenn man das nur lange genug macht, lächelt man irgendwann tatsächlich, hatte ich mal gelesen) und setzte mich vor den Fernseher. Bei »Punkt 12« mussten gerade die VIP-News laufen, das heiterte mich eigentlich immer auf. Neulich haben sie in einem Bericht die erfolglosesten Diäten von deutschen Schauspielerinnen gezeigt. Herrlich, ich war eine Woche danach immer noch gut gelaunt.
Ich schaltete den Fernseher ein und freute mich auf fiese Zellulitis-Bilder von C-Promis, da hörte ich plötzlich ein dumpfes Knallen. Es kam eindeutig aus der Richtung meines Fernsehers. Nein! Bitte nicht. Konnte es nicht sein, dass die Tapete an der Stelle ... nun, vielleicht explodiert ist? Ich startete noch einmal einen unbekümmerten Anlauf, den Fernseher anzuschalten. Nichts. Es tat sich nichts. Die Mattscheibe blieb schwarz. Und es qualmte sogar ein wenig.
Ich fühlte mich wie die Protagonistin eines Kinofilms, über die grausame Drehbuchschreiber erbarmungslos gerichtet hatten.
Drehbuchautor 1: »Was könnte der denn noch passieren, damit klar wird, dass sie so einen richtigen Scheißtag hat?«
Drehbuchautor 2: »Und wenn ihr Fernseher noch kaputtgeht? Mit so einem richtigen Knall?«
Drehbuchautor 1: »Ist das nicht übertrieben? Denk mal, dass wir der schon die Lieblingsjeans, das Handy und den Nagel versaut haben. Das glaubt uns doch keiner.«
Drehbuchautor 2: »Doch, so machen wir das. Überleg mal, es soll ja auch ein richtiger Scheißtag sein.«
Leider ist mein Leben kein Drehbuch. Es ist jetzt noch nicht einmal Viertel vor eins, und dieser kleine, unschuldige Vormittag hat es geschafft, dass ich keinen knackigen Hintern mehr habe, dass es Wochen dauert, bis mein Fingernagel wieder vorzeigbar ist, dass ich nie wieder eine Nummer anrufen kann, die eine »4« oder »5« beinhaltet, und dass ich bald eine Menge Geld im MediaMarkt lassen werde.
Was zu viel ist, ist zu viel. Ich vergrabe meinen Kopf unter den Armen. Wahrscheinlich sagt Katja Burkard von »Punkt 12« gerade, dass Lorielle London sich wieder die Brüste vergrößert hat. Das hätte ich doch so gerne gesehen.
Ich rufe Pia an. Wenn mir eins den Tag noch retten kann, dann ist es »Vier Hochzeiten und ein Todesfall«. Eindeutig.
»Vier Hochzeiten und ein Todesfall« war der erste Film, den Pia und ich alleine (!) in der Abendvorstellung (!), im Großraumkino (50 (!) Plätze) der 40 (!) Kilometer entfernten Großstadt (!) Husum sehen durften. Kurz: Es war mein absolutes Highlight im Jahr 1993. (Seitdem sehe ich den Film immer, wenn es mir schlechtgeht, und denke daran, wie gut es mir 1993 ging. Und da das hin und wieder vorkommt, habe ich den Film nun schon ... nun, ich habe ihn oft gesehen. Diese Info muss reichen.)
Pias und meine Fahrt ins große Glück begann damals um 19 Uhr an der Bushaltestelle in der alten Dorfstraße. Mit den Worten »Dann hoffentlich bis bald« setzte uns meine Mutter besorgt in den Bus der Linie 5 und winkte uns nach, bis wir nicht mehr in Sichtweite waren. Wir saßen auf der Rückbank und winkten auch. Und waren unglaublich aufgeregt. Ich weiß, heutzutage haben Dreizehnjährige Geschlechtsverkehr oder gewöhnen sich das Rauchen ab. Doch damals war die Fahrt nach Husum ins Kino mit Abstand das Gewagteste und Spektakulärste, was man mit 13 Jahren tun konnte.
Den Film fanden wir einfach nur großartig. Nach neunzig Minuten verließen wir mit hochroten Wangen den Kinosaal und waren uns sicher, dass wir im Leben keinen besseren Film mehr sehen würden. Vielleicht lag es an unserer aufgekratzten Stimmung, und vielleicht hätten wir uns auch bei einem Bud-Spencer-Film geschworen, gerade einen Meilenstein der Kinogeschichte gesehen zu haben. Doch Tatsache ist, dass Hugh Grant einen bleibenden Eindruck auf mich gemacht hatte.
Weil kein Bus mehr zurück nach Klixbüll fuhr, wurden wir nach dem Film von meiner Mutter an der nächsten Straßenecke abgeholt. Auf die Frage »Wie war’s?« sagte ich: »Mama, ich bin
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