Fraeulein Jensen und die Liebe
besser fühlen«, hatte ich einmal in einem Ratgeber gelesen. Es stimmt tatsächlich. Ich klickte auf »senden« und wusste: Ich hatte den Grundstein für etwas ganz Großes gelegt.
Schon zwei Tage später kam eine Antwort. Ja, Thorsten Havener habe Zeit. In einer Woche. Da sei er nämlich wieder in Hamburg und ich könne ihn treffen. Zum Frühstück in seinem Hotel. Ob das in Ordnung wäre? Ich wollte am liebsten »Das ist mehr als in Ordnung, das ist fantastisch, das ist großartig, das ist der reinste Wahnsinn« zurückschreiben. Doch ich war souverän und antwortete: »Ja, der Termin müsste mir zeitlich passen.«
In den restlichen Tagen bis zum Interview studierte ich sein Buch »Ich weiß, was du denkst« so ausführlich, als wäre ich Schülerin einer Koranschule im Nahen Osten und müsste Mohammeds Worte – ich meine natürlich Thorstens Worte – bis zur Prüfung vollständig verinnerlicht haben.
Je mehr ich las, desto klarer wurde es: Es war die perfekte Vorbereitung für einen perfekten Auftritt. Für meinen perfekten Auftritt.
Unter dem scheinbar harmlos wirkenden Titel »Der Körper verrät unsere Gedanken« beschrieb Thorsten Havener, wie sich die Körpersprache auf unser Gegenüber auswirkt. Er hätte es nicht so umständlich ausdrücken müssen. Warum wählte er nicht einfach diese Überschrift? »Liebe Hannah Jensen, das hier müssen Sie beachten, wenn Sie mich nächste Woche treffen. Dann klappt das schon.«
Ein leicht geöffneter Mund signalisiert demnach Interesse am Gegenüber, man möchte mehr von ihm erfahren. Legt man den Kopf zur Seite, will man dem anderen seine verwundbare Seite zeigen und entblößt sein sensibelstes Körperteil: die Halsschlagader. Heißt: Vertraue mir. Neigt man dagegen den Kopf nach vorne, wirken die Augen größer und der Körper kleiner. Und: Das weckt den Beschützerinstinkt, denn die »Frau zeigt sich zerbrechlich und wehrlos«. Umfassende Studien würden zeigen, dass Personen weiblicher wirken, die mit gesenktem Kopf nach oben schauen. Warum hatte mir das vorher noch nie jemand gesagt? Ich beschloss auf der Stelle, mein Leben fortan mit einem nach vorne geneigten Kopf zu verbringen!
Dieses Buch war Gold wert. Mein Plan, den ich tollkühn fasste, als ich die letzte Seite umblätterte, war einfach und gleichzeitig genial. Ich wollte mich genau so verhalten, wie es in dem Buch beschrieben wurde. Aber, und nun kam der Clou des Ganzen: Ich würde Thorsten Havener nicht sagen, dass ich das Buch gelesen hatte. Denn dann musste es ja nach den Gesetzen der Natur zu genau diesem Dialog kommen:
Thorsten Havener: »Liebe Hannah Jensen, darf ich Ihnen eine ganz blöde Frage stellen?«
Hannah Jensen: »Aber natürlich.« (Dreht den Kopf zur Seite, lächelt weise, sieht nach oben.)
Thorsten Havener: »Sie verhalten sich so freundlich, so offen und gleichzeitig weiblich und verletzbar. Kennen Sie mein Buch?«
Hannah Jensen (erstaunt): »Nein. Ich habe mich so verhalten, wie ich immer bin. Warum fragen Sie? Haben Sie etwa über solche Körpersignale geschrieben?«
Thorsten Havener: »Das tut jetzt nichts mehr zur Sache. Sie sind immer so? Von Natur aus? Dann ist das ein Zeichen. Hannah, wir gehören zusammen.«
Oh mein Gott. Ich war dermaßen aufgeregt, dass ich meinen Körper und dessen neu gewonnene Sprache sofort an jemandem testen wollte: Pia!
Unter einem glaubwürdigen Vorwand (quatschen und danach »Das Erbe der Guldenburgs« auf Video sehen) lockte ich sie am Abend vor dem Interview in meine Wohnung. Die Hand (fester Händedruck signalisiert Offenheit!) wollte ich ihr besser nicht geben, obwohl ich auch das gerne getestet hätte. Aber nein, Pia und ich haben uns noch nie die Hand gegeben. Und ich wollte nicht, dass sie gleich am Anfang Lunte riecht.
»Hallo«, sagte ich also mit fester Stimme, als ich ihr die Tür aufmachte. »Wollen wir ins Wohnzimmer gehen?«
Pia runzelte die Stirn und ich schritt mit geradem Rücken voraus ins Wohnzimmer und setzte mich aufs Sofa. Die Beine hielt ich parallel, so dass meine Fußspitzen genau auf Pia zeigten (»parallele Beine stehen für Interesse«).
»Na, dann erzähl doch mal«, sagte ich und lächelte. »Wie läufts eigentlich mit deinem Projekt? Ihr konstruiert doch gerade eine Reihenhaussiedlung. Kommt ihr gut voran?«
Während ich die Fragen stellte, zeigte ich Pia meine offenen Handflächen (»freundliche, einladende Geste«) und machte eine Aufwärtsbewegung mit den Armen (»man greift dem anderen symbolisch
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