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Fraeulein Jensen und die Liebe

Fraeulein Jensen und die Liebe

Titel: Fraeulein Jensen und die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Hansen
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einlassen. Das reicht. Bis morgen, ich werde berichten.«
     

     
    Morgen kommt schneller, als mir lieb ist. Genauer gesagt kommt der Tag der Tage nach einer schlaflosen Nacht (meine Nachbarn über mir haben in den Geburtstag reingefeiert und hören anscheinend für ihr Leben gerne Techno), einem Frühstück, bei dem ich nichts runterbekommen habe, und der Feststellung, dass mein Volumen-Haarschaum leer ist. Ich habe also Augenringe, einen knurrenden Magen und platte Haare.
    Aber irgendwie macht mir das gar nichts aus. Im Gegenteil: Ich fühle mich sogar richtig gut dabei. Ich meine, Patrick Winczewski wird wahrscheinlich wirklich nicht so gut aussehen. Und ich muss sagen: Diese Tatsache macht mich schon jetzt glücklich. Wir werden eine Beziehung führen, bei der es nur um innere Werte geht. Wenn wir ausgehen, werde ich nicht mehr Stunden vor dem Spiegel stehen müssen (die Zeit, die wir dadurch sparen, werden wir für tiefgründige Gespräche nutzen). Ich werde nicht mehr auf Kalorien achten und das Beste: Ich kann endlich zu meiner Mütze im Bett stehen. All meine Freundinnen werden furchtbar neidisch sein, wenn ich mich so richtig gehen lassen kann. »Patrick liebt mich so, wie ich bin«, werde ich säuseln. »Und ich liebe ihn.«
    Auch die Klamottenfrage war heute Morgen dementsprechend entspannt. Ich habe gar nicht darauf geachtet, was ich im Halbschlaf aus dem Schrank gefischt habe. Ich habe mir einfach etwas angezogen, ohne nachzudenken. Ist das nicht eine wunderbare Befreiung?
     
    Ich bin mit der S-Bahn am Hafen angekommen. Noch ein paar hundert Meter, dann bin ich an unserem Treffpunkt angelangt, dem Madison. Ich schlängle mich durch die Straßen, vorbei an ein paar Cafés. Alle sitzen heute draußen und zeigen stolz ihre Sonnenbrillen. Sobald in Hamburg auch nur im Ansatz die Sonne scheint, geht nämlich ein kollektives erleichtertes Raunen durch das Volk und alle verlagern das Leben sofort nach draußen und spielen Italien.
    Wahrscheinlich werden auch im Restaurant vom Madison alle Leute draußen sitzen, inklusive »The Voice« Patrick Winczewski.
    Erst wollte ich mit ihm ein Erkennungsmerkmal vereinbaren, doch mir ist etwas viel Besseres eingefallen. Ich werde mit geschlossenen Augen an den Tischen vorbeigehen und nur auf die Stimmen achten. (Eigentlich wollte ich mir die Augen verbinden, aber Pia meinte, dass ich nicht sofort wie eine Irre rüberkommen sollte.) Und dann werde ich im munteren Stimmengewirr plötzlich hören: »Herr Ober, würden Sie mir noch einen Kaffee bringen? Mit dem Essen warte ich, denn es kommt noch jemand.« Ich werde die Stimme der Stimmen erkennen und abrupt innehalten. Ich werde langsam die Augen öffnen (das ist gewissermaßen der »Das-ist-Ihr-Herzblatt«- Moment) und zwischen den vielen Leuten werde ich einen Mann entdecken. Einen ganz normalen Mann. Einen, dem man auf der Straße nie hinterhersehen würde. Einen, dessen Gesicht man sofort wieder vergisst, sobald man es gesehen hat. Einen, den man wahrscheinlich nie beachten und unter normalen Umständen nie kennenlernen würde.
    Ich werde mir den Weg durch die vielen besetzten Tische bahnen, dann direkt vor ihm stehen und mein neues, tiefsinniges Leben, befreit von allen Oberflächlichkeiten dieser Welt, mit einem »Hallo« (möglichst à la Daubner) beginnen.
    So langsam schlackern mir doch die Beine. Ich biege um die Ecke und sehe in etwa 50 Metern das Madison. Ob ich diese Strecke mit geschlossenen Augen gehen kann, ohne vom Weg abzukommen? Moment mal. Da sitzt ja gar keiner. Doch, aus der Ferne sehe ich einen Mann an einem der Tische sitzen. Das muss er sein! Der Rest der Terrasse: leer. Das darf doch nicht wahr sein. Erst gestern das leere Café Paris und heute das leere Madison. Gibt die Polizei etwa durch ein Megafon durch, wenn ich im Anmarsch bin, sodass sich alle schnell verstecken können? Meinen Plan mit den geschlossenen Augen und dem Sich-treiben-Lassen und dem Herzblatt kann ich jetzt wohl ad acta legen. Ich gehe schnurstracks zum Restaurant und bleibe abrupt stehen. Aber nicht etwa, weil ich seine Stimme gehört habe, sondern weil ich ihn gesehen habe: Patrick Winczewski sieht gut aus. Verdammt gut sogar. Er hat dunkle Haare und blaue Augen (super Kombi!), ist teuer angezogen (so etwas erkenne ich sofort!) und hat einen sehr, sehr schönen Mund. Das darf nicht wahr sein. Der ist doch Synchronsprecher!
    »Herr Winczewski?«, frage ich. (Alle guten Vorsätze, möglichst tief und verrucht zu klingen,

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