Fraeulein Stark
gekühlten Fechy restlos wegsoff. Der Sommer erreichte den Zenit, und an diesen hellen, heißen Tagen, da frühmorgens ein vorzeitiger Hauch von herbstlicher Kühle in den Klostergängen hing, kam es mir hin und wieder vor, als würde sich aus ferner Zukunft eine dunkel bekuttete Gestalt heranschleichen, der Klosterschüler, der mich am ersten Donnerstag nach dem Rosenkranz-Sonntag -das war das Datum, da ich einzurücken hatte erreichen, durchdringen und schließlich vollständig ersetzen würde. Wann war der Rosenkranz-Sonntag? Irgendwann im frühen Oktober, noch war es Sommer, jedenfalls ab neun Uhr morgens, nur selten fiel Regen, aber dennoch begann ich den dunklen Kerl zu fürchten, auch ein wenig zu hassen, zumal er in meiner Vorstellung, die Tag für Tag genauer wurde, nicht nur eine Kutte trug, sondern auch schwarze, vom Fräulein gestrickte Kniesocken. Der geht über Leichen, dachte ich, zumindest über meine.
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Vor dem Diwan standen die beiden Lackschuhe mit den viereckigen Silberschnallen, der Onkel lag in den Seidenkissen und verfolgte, die Brille in die Denkerstirn geschoben, seinen durch die Phantasiestadt irrenden Wüstenvater. Wenn wir lasen, redeten wir kaum, aber sah der eine auf, tat es -fast gleichzeitig -auch der andere, zurrte die linke Augenbraue in die Höhe und lauschte nach nebenan.
Es war Samstagabend, wir hatten eine gute, allerdings nervenaufreibende Woche hinter uns, Busse im Dutzend, Hochzeitspaare, Schulklassen, Wandervögel, alles hatte in den Saal gedrängt, zu den Handschriften, zu den Büchern, das ist die heilige Cäcilia, meine Damen und Herren, das ist der Abrogans, die Tuotilo-Tafeln, die Nibelungen-Handschrift, und diese reich verzierten, sonnnen - und zeitversengten Holzkästchen enthalten Buch 7 einer 36bändigen Ausgabe des Tao-te-king, verfaßt vom Philosophen Laotse. Um 600 vor Christus, fragt der Besserwisser dazwischen, und natürlich hat er recht, er hat ja immer recht, ich nicke, die Gattin blickt ins Leere, die Karawane zieht weiter, von Vitrine zu Vitrine, vom Mittelalter in den Barock, von der Morgenseite (DD bis QQJ bis zur Abendseite (CG bis PP).
Plötzlich sah der Onkel auf und sagte: Die vergangene Woche war ziemlich anstrengend. Auch sind die schönen Tage von Aranjuez, um mit Schiller zu reden, für dich bald vorbei, die Klosterschule erhebt sich drohend über den Horizont, weshalb ich ganz entschieden der Meinung bin, mein lieber Nepos, daß wir uns am morgigen Sonntag einen Ausflug ins Herrenleben gönnen sollten.
Die Flämmchen knisterten im flüssigen Wachs. Beide horchten wir nach drüben, ins Eßzimmer, wo wieder das Klicken zu hören war, klickidi-klick, sie strickte immer noch, strickte Paar um Paar um Paar, der Wollteig wuchs und wucherte, irgendwann würde ich an diesem Koffer ersticken. Es bleibt unter uns, klar?
Jawohl, Onkel.
Und so gingen wir, beide gut gelaunt, am Sonntagabend durch die Klostergasse in den »Porter«, das Stammlokal des Onkels. Für ihn, dozierte er auf dem Weg, befinde sich die Stadt noch immer im Mittelalter, und die Klostergasse sei eine einzige Kloake, Kloake im Wortsinn, hier würden sich seuchenträchtig die Abwässer wälzen, Blut aus den Schlachthäusern, der Absud aus den Garküchen, die Rückstände der Färber, Gerber und Chirurgen, auch sei es Usus, die Pißpötte über der Gasse auszuschütten, stets und ständig klatsche Scheiße herab, es stinke zum Himmel, weshalb sich nur die Plebs, auch das niedere Volk genannt, ebenerdig zu verköstigen pflege. Kapiert, Nepos? Niemals ebenerdig absteigen!
Niemals ebenerdig!
Höhere Stände trinken oben!
Jawohl, Onkel.
Niemand schüttete über der Gasse den Pißpott aus, keine Scheiße klatschte herab, es war Sonntagabend und so still, daß das Surren der Trolleybusse durch die nahe Bahnhofstraße zu hören war. Hat derOnkel je aus seinem Leben erzählt, von seinen Ängsten und Freuden;
Ich glaube nicht. Das war Nunu-Zeug, seiner nicht würdig, er, der Stiftsbibliothekar, sprach von Kant oder Hegel und ließ keine Gelegenheit aus, seinen Neffen zu belehren. Während ich noch der mittelalterlichen, von üblen Gerüchen durchsetzten Gasse nachträumte, war er bereits beim nächsten Thema. Weißt du, wer Augustinus ist?
Wer kennt ihn nicht, antwortete ich lächelnd. Der Spruch, wonach uns der letzte Tag zumindest als Kämpfer finden soll, stammte von Augustinus und hing im Scriptorium an der Wand.
Für Augustinus, sagte der Onkel, gebe es kein Präsens, keine
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