Fraeulein Stark
Gesetze kennenlernen, die man angewandt hatte, um zwei seiner Geschwister verschwinden zu lassen. Er brauchte sechs Semester, schon war er fertig. Die beiden Brüder, die beim Zellweger arbeiteten, waren inzwischen zu guten Posten gekommen; der eine zeichnete Muster, der andere kümmerte sich um die Stoffe. Eines Tages traf ein Telegramm ein, abgesandt aus Polen: Zellweger bei Duell gefallen. Da wandte sich die junge Witwe, eine geborene Singer, an die beiden Katzen und erhielt von diesen den Rat, sich doch lieber an Joseph zu halten, ihren Bruder, den frisch promovierten Juristen. Drei Monate später wurde geheiratet. Die beiden Textil-Brüder bestanden darauf, daß der Name Katz vor den Namen Zellweger käme, Joseph wehrte sich, wollte nichts davon wissen, und als er schließlich nachgab und die vier Buchstaben auf den Dachfirst setzen ließ, war es bereits zu spät, die drei Katzen hatten sich übel verkracht. Der eine schiffte sich nach Manila ein, und der andere zog ostwärts davon, angeblich in eine galizische Stadt, wo er als Schneider für die untergehende k.u.k.-Armee in russische Gefangenschaft und so in jene Weite geriet, die niemals aufhört.
Joseph Katz blieb traurig zurück. Von den sechs Geschwistern hatte er vier verloren, zwei im Waisenhaus, zwei durch Streit, und die beiden Schwestern, die noch übrigblieben, empfand er mehr und mehr als eine Last. Zwischen den Augen wuchs ihnen ein böser Finger hervor, der sich bis zum fliehenden Kinn hinabzukrümmen versuchte. Es war aussichtslos -diese Nasen brachte er nie und nimmer an den Mann!
Noch vor dem ersten Krieg, im August 1913, kam Jacobus auf die Welt, das erste Kind der Seidenherrin, und offenbar muß es Joseph Katz, dem Vater, gefallen haben, sich mit Frau und Kind immer wieder photographieren zu lassen. Als er dann zum zweiten Mal Vater wurde, das war 1926, nahm seine Bilderlust noch zu, die kleine Nachzüglerin hieß Theres, und es wimmelte von Photographien, die ihr rasches Wachsen festhalten sollten - die Taufe, den ersten Schultag, die erste Heilige Kommunion. Alle machen immer ein fröhliches Gesicht. Eine normale Familie: Vater, Mutter, ein strammer Junge, ein herziges Mädchen, meist im weißen Seidenkleidchen, und zwei lange, dürre Tanten mit Brillen. Alles gut, alles normal -wäre nur die Nase nicht gewesen!
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Brachte ich die studierten Bücher, Broschüren, Zeitungsbände und Papiere zurück, lagen auf dem Tresen jeweils neue bereit, teils von mir bestellt, teils vom Scriptonum dazugelegt, der Vorgang wurde zur Routine, meinen Eifer sahen sie gern. Storchenbein, der Vize des Onkels, war der Chef im Scriptorium. Ihm sollten die Hilfsbibliothekare gehorchen, doch schien Storchenbein eher den Kasper zu machen, flüsterte Herrenwitze und brachte mit einem salbungsvollen: Nunu, was darf es denn sein, Nepos praefecti; seine Untergebenen in eine grunzend gute Laune. Ich mochte Storchenbein. Er meinte es gut mit mir. Bis zum nächsten Mal, Vize Storchenbein, vielen Dank!
Die Woche neigte sich dem Ende zu, der lange Tag begann zu vergehen, und wie an jedem Abend war auch heute die Abendschöne unsere letzte Besucherin. Warum sie immer wieder kam, wußte niemand, und niemand, vermute ich, hat je mit ihr gesprochen, sie gehörte zum Inventar, sie war unsere Dämmerung, glitt auf den Filzpantoffeln wie eine Eisprinzessin über den leis knarrenden Bodenhimmel, drehte Kreise, zeigte Figuren, flatterte und schwebte, von den Aufsehern kaum noch wahrgenommen, ein Schatten unter Schatten, bis dann, ihre Hände in die Hüften gestemmt, die Stark unseren Tag beendete: Die Bibliothek ist geschlossen!
Sie rief es jeden Abend, und jeden Abend trat sie wie der Paradiesengel in den Portalrahmen, um mit strengem Blick zu warten, bis sich die letzte Besucherin mit einer hauchzarten Geruchsschleppe durch den Gang entfernte. Nach Rosenblüten roch sie -ich fügte ihre Pantoffeln zum Paar, schob sie zwischen die andern, und damit standen meine Reihen, wie es sich zum Schluß des Tages gehörte, wie eine Kompanie im Glied: Helme zur Wand, Zungen zum Flur.
Die Stark beobachtete den Abgang der Abendschönen, der Riegel wurde vorgeschoben, und ich wagte es schließlich doch, über die Beine das Bäuchlein den Busen den Blick am Fräulein hochgleiten zu lassen. Sie jedoch, als habe sie mein Wittern der Rosenblüten bemerkt, sah mit kalten Augen auf mich herab. Er ist eben doch ein Katz, schien sie zu denken, er kann das Riechen und Schauen nicht lassen.
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Und
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