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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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Gegenwart. Entweder lebten wir in der Vergangenheit, meine Augustinus, oder wir lebten in der Zukunft, denn wer jetzt! sage, jetzt!, dem sei dieses Jetzt immer schon davongehopst, davongehopst, davongehopst…
    Mit einigen Sprüngen machte er vor, was Augustinus meinte, und ein junges Pärchen, das uns entgegenkam, drückte sich vor dem vorbeihopsenden Prälaten erschrocken an die Hausmauer. Gut, die Lektion über das Mittelalter konnte ich verstehen, er war Bibliothekar und lebte in längst versunkenen Zeiten und Reichen. Aber was sollte der Hinweis auf Augustinus bedeuten? War es ein verdecktes Lob; Gab er mir den Rat, mich auch künftig mit der Vergangenheit zu beschäftigen, das Leben im Perfekt aufzuspüren; Oder war es gerade umgekehrt; Zeigte sein Hopsen, daß es eben doch ein Jetzt gibt? Ich hatte den Schatten am Fuß der Leiter nicht vergessen, sein stummes Davongleiten zwischen den hohen Gestellen, und auf einmal hatte ich das ungute Gefühl, die freundliche Einladung in sein Stammlokal könnte eine Art Bestechung sein, nämlich der onkeltypische Versuch, eine leise Verstimmung zwischen uns, ohne sie im geringsten zu erwähnen, aus der Welt zu schlucken. Wie mußte ich sein Hopsen interpretieren, als Lob oder als Tadel? Sollte ich die Pfoten von den Katzen lassen oder noch tiefer in ihre Geschichte hineinkriechen; Er war um die Ecke verschwunden, das Pärchen glotzte, verlegen zog ich meine Mütze, dann sah ich zu, daß ich den Onkel einholte.

25
    An zwei erstklassigen, jedoch ebenerdigen Gastwirtschaften zogen wir naserümpfend vorbei und stiegen nun, wie es sich für höhere Stände gehörte, durch ein muffig nach Wein und Fett stinkendes Treppenhaus in den ersten Stock hinauf, wo es sich, so der Onkel, hinter fugendicht verbleiten Butzenscheiben prima pokulieren lasse. Im alten »Porter«, verkündete er, auf der obersten Stufe innehaltend, sei man über die Kloake erhaben, hier sei der Service gepflegt, der Wirt ein Herr und die Tafel schön und herrlich, id est: pulcher et speciosus. Obwohl ich roch, daß dieser im Ersten gelegene »Porter« mitsamt Besitzer, Stammtisch und den paar letzten Gästen jämmerlich heruntergekommen war, gab ich ihm selbstverständlich recht. Gott zum Gruß, rief der Stiftsbibliothekar in die Stille, übergab dem herbeigeschlurften Wirt den breitkrempigen Prälatenhut und nahm am Stammtisch Platz.
    Es wurde ein seltsamer Abend. Die Corona empfing mich freundlich, und der Wirt, der mit seinen Seeräuberstoppeln, blutunterlaufenen Augen und einer violett verporten Nase zum Fürchten aussah, erkundigte sich mit übertreibender Höflichkeit, was ich zu speisen wünsche. Beim Prälaten weiß ichs, fügte er grinsend hinzu.
    Ganz recht, bestätigte der Onkel, ich liebe Schweinsbratwürste über alles!
    Also eine Schweinsbratwurst, flötete der Wirt, und was, bittesehr, wünscht der junge Herr zu speisen;
    Das gleiche wie der Onkel!
    Bravobravo, anerkennendes Grinsen, dann stützten alle die Humpen an, kippten die Köpfe in den Nacken und ließen das Bier glucksend in sich hineinlaufen. Dieser Vorgang wurde mehrmals wiederholt, erst in rascher Folge, später etwas langsamer, und jedesmal, wenn sie die gemeinsam geleerten Gläser ratternd abgestellt hatten, kam der Wirt angeschlarpt, bereits gezapfte Biere auf dem Tablett, und fragte scheinheilig, wer die Runde übernehme.
    Praefectus librorum, riefen die Herren im Chor, worauf sich der Onkel zurücklehnte und die Huldigung mit einem päpstlichen Winken der rechten, dick beringten Hand verdankte.
    Inzwischen hatte uns Porter die Schweinsbratwurst serviert, und sogar dem Onkel, der sich ja nur mäßig auf unsere Ding-und Fleischeswelt einließ, stieß sie säuerlich auf. Nachdem er vergeblich versucht hatte, die Gummihaut zu zersägen, lehnte er sich zurück und meinte lächelnd: Nunu, halten wir uns an den Kollegen Wittgenstein. Der soll einmal bemerkt haben, ihm sei es egal, was er esse, Hauptsache, es handle sich jeden Tag um das gleiche.
    Die Corona brüllte.
    Onkel, fragte ich leise, muß ich das essen?
    Ja, meinte er, selbstverständlich, wirklich sei ja nur das Wort, woraus folge, daß das Fleisch, jedes Fleisch, auch das Fleisch auf unserem Teller, im Grunde genommen keine Wirklichkeit habe. Bene sit tibi cena, nepos! -einen guten Appetit!
    Wie kann denn eine Wurst, an der man gerade herumkätscht, unwirklich sein, hätte ich gern gefragt, ließ es aber bleiben und aß. Der Onkel spülte die Bissen mit Bier hinunter. Dann

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