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Fraeulein Stark

Titel: Fraeulein Stark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Huerlimann
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Innsbruck auf, wiederum begeistert, in dieser stolzen, vom Atem der Geschichte durchweh’ ten Bergstadt war er der jüngste und beliebteste Dozent. Mit einem Brustband über der Soutane und dem Käppi schräg am Kopf hielt er feurige Reden, schrieb und lehrte und sang, sah sich bereits als Professor, als Kardinal und wissenschaftlich brillierende Kuriengröße.
    Anno 38 jedoch -es dürfte eine Woche nach Hitlers Einmarsch in Osterreich gewesen sein -kam er mit seinen Schnallenschuhen in Buchs über die Grenze in die Schweiz gestolpert und mußte schließlich froh sein, daß er im Scriptorium der Stiftsbibhothek ein Unterkommen fand. Nun saß er mit anderen Hilfsbibliothekaren in einer Reihe, wie ein Galeerensträfling an sein Pult gefesselt, und kratzte mit einer Schreibfeder am Bücherbaum. Gewiß, auch der junge Katz litt unter der sinnlosen Arbeit, aber anders als seine Kollegen, die nachts in die Kaschemmen und tagsüber in ein trübsinniges Dösen fielen, studierte er die uralten Klosterpläne, entdeckte verborgene Verliese, stieß auf geheime Gänge, und im Frühsommer 39 -inzwischen war immer öfter vom Krieg die Rede teilte er dem seit Jahren arbeitslosen Vater mit, in den drei Klosterweihern über der Stadt hätten sie früher Fische gehalten, wunderbar fette Karpfen für die fleischlose Fastenzeit.

32
    Damals waren die drei Weiher versumpft, und der Damm hatte böse Risse. Das war Dr. Joseph Katz, dem ehemaligen Textilfabrikanten, gerade recht. Kriege, erklärte er dem Stadtrat von St. Gallen, würden bekanntlich im Sommer beginnen, also sei es an der Zeit, die Klosterweiher als Reservoir für die Kriegs-Feuerwehr aufzurüsten. Der Stadtrat stimmte zu. Sollten Kathedrale, Bibliothek und Altstadt in Brand geschossen werden, gab es nur eine Chance, den kostbaren Bestand zu retten: das Löschwasser aus den ehemaligen Klosterweihern, die über der Altstadt im Hang lagen. Dr. Katz verpflichtete sich, die künstlich angelegten Becken zu entsumpfen, auch versprach er, den Damm zu flicken und die Rohre, durch die das Wasser hangabschießen würde, sobald als möglich zu reinigen. Es war höchste Zeit. Nur wenige Tage nach der Unterzeichung des Pachtvertrages eilte ein heftiges Läuten über das Land, sprang von Dorf zu Dorf, von Kirchturm zu Kirchturm, ein Sonntags-und ein Totenläuten, der Krieg war da, der Krieg. Die wenigen Badegäste stürzten in die Kabinen. Nur der Bademeister und seine junge Gehilfin, die Magdalena Stark aus dem Appenzellischen, blieben zurück. Er hatte sie seinerzeit als Seidenspinnerin eingestellt, und da sie ihn nach dem Konkurs unter Tränen gebeten hatte, nur ja nicht in den Alpstein zurückgeschickt zu werden -damals muß der buchstabenhassende Vater noch gelebt haben -, war man schließlich übereingekommen, daß sie an Katzens Seite bleiben dürfe. Wie tüchtig sie war, zeigte sich in der Badeanstalt. Aus den Appenzeller Bergen brachte sie allerlei Ideen mit, insbesondere den Kiosk -wo der Mensch sich wohl fühle, so die Stark, wolle er Ansichtskarten schreiben, schwarze Wässerchen trinken und Nußgipfel essen. Katz gab ihr recht, und bald lebten sie von dem Most, den Bratwürsten und jenem Appenzeller Likör, den die Stark während der Sommersaison verkaufte.
    Jetzt schraubte sie am Kiosk den Glace-Wimpel ab, zog den Kahn aus dem Wasser, klappte die Sonnenschirme ein und trug sie dann, als handle es sich um die ersten Verwundeten, in den Sanitätsschuppen. Wer weiß, sagte das Fräulein, ob wir das Frühjahr noch erleben.
    Im Spätsommer 1939, als der Krieg ausbrach, war Theres, die Tochter des Bademeisters, die beste Schülerin vom jungen Gymnasialprofessor Tasso Birri, und dieser Birri, ein überzeugter Wandervogel, Klampfen-Spieler und Frontist, hatte auf dem Reichsparteitag zu Nürnberg den Führer gesehen, seinen göttergleichen Germanenblick und die beim Hitlergruß zu erkennende absolut schweißfleckfreie Achselhöhle, worüber er in der »Ostschweiz« eine ganze Serie von Artikeln schrieb. So hat es Katz zwar geärgert, aber nicht im mindesten erstaunt, als er eines Nachmittags auf eine Strafarbeit seiner Tochter stieß. Das Heft lag auf der karussellrunden Holzbank unter dem Nußbaum; ein heißer Wind, der vermutlich ein Gewitter bringen würde, schlug gerade die Blätter um. Katz blieb stehen. Heil Hitler! hatte sie schreiben müssen, Heil Hitler! Heil Hitler! Heil Hitler! Wie ihm Theres noch am Abend gestand, hatte ihr ein frecher Spruch gegen die Eroberung von Polen

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