Frag die Karten
— redet davon, daß
er immer hierherkommt, auf eine Tasse Kaffee und Kuchen, bevor er nach
Hause geht.«
»Ach so.« Ich nickte. »Es klingt
vielleicht merkwürdig, wenn du die Situation nicht kennst. Gusist — war — mit
Molly verheiratet, aber sie konnte es nicht ertragen, mit ihm zu leben. Also
hat er vor etwa fünf Jahren eine eigene Wohnung genommen, oben auf dem Hügel,
in der zweiundzwanzigsten Straße, aber er ißt stets bei Molly und kommt auch
jeden Abend noch kurz vorbei auf einen Happen, nach dem Dominospiel.«
Greg zog die Stirn in Falten. »Sharon,
wie hältst du es nur aus, in einem so sonderbaren Haus zu wohnen?«
»Hör zu: Molly fand, es war ein sehr
vernünftiges Arrangement. Sie war der Ansicht, eine Frau habe die Pflicht, für
ihren Mann zu kochen und ihm die Kleidung in Ordnung zu halten, aber es bestand
kein Grund, seinetwegen völlig verrückt zu werden. Und damit hatte sie wohl
recht.«
Greg ging weiter nach oben. »Ich bin
froh, daß ich keine solche Molly geheiratet habe«, sagte er über die Schulter
hinweg zu mir. »Und erinnere mich daran, daß ich aufhöre, dir den Hof zu
machen, wenn du so sonderbare Ansichten hast.« Oben angekommen, fügte er hinzu:
»Nicht, daß ich mit meinen Bemühungen viel Erfolg gehabt hätte.«
»Das stimmt.«
Er wandte sich um und schaute mich mit
gefurchter Stirn an. »Sharon, wäre es nicht Zeit, daß wir Frieden schließen?«
Ich fühlte, wie alle meine Vorbehalte
gegen ihn mobil wurden. »Ich finde, momentan haben wir andere Dinge, um die wir
uns kümmern sollten.« Während ich es sagte, warf ich einen Blick auf die
Treppe, die in die oberen Stockwerke führte, wo ein weiterer Polizeibeamter
eine Gruppe von Mietern in Schach hielt. Auf dem Treppenabsatz im ersten Stock
stand eine hagere Frau mit scharfgeschnittenem Gesicht und graumeliertem,
schwarzem Haar, das sie nach hinten zu einem Knoten gekämmt hatte. Mrs.
Neverman, eine gute Freundin von Molly. Ihre dunklen Augen waren tränenfeucht
und schimmerten im Licht der Glühbirne auf dem Treppenabsatz.
Gregs Blick war dem meinen gefolgt. Er
legte mir eine Hand auf die Schulter. »Gehen wir hinein?«
Die Tür zu der Wohnung im ersten Stock
stand offen, und ein Lichtkegel fiel heraus auf den türkisfarbenen Teppich des
Korridors. Von drinnen hörte man das Gewirr mehrerer Stimmen. Ich zögerte einen
Augenblick. Greg zog mich mit sich, und ich trat langsam über die Schwelle in
die Wohnung.
Gleich hinter der Tür, neben dem
kleinen Telefontischchen, das Molly auf einem Flohmarkt aufgestöbert und
liebevoll restauriert hatte, lag eine Einkaufstüte, deren Inhalt über den Boden
verstreut war. Der Telefonhörer lag neben der Gabel. Ich trat vorsichtig über
ein Paket mit gefrorenen weißen Bohnen und ging hinein in das Wohnzimmer, wo
noch die Spezialisten des Ermittlungsdienstes an der Arbeit waren.
Mollys zugedeckte Gestalt lag in der
Mitte des Raums, auf einem blauen Teppich. Greg ging hinüber und hob eine Ecke
des Tuches hoch, das den Leichnam bedeckte. Mollys Gesicht unter dem Büschel
weißen Haars war purpurrot. Und ich sah die Abdrücke, wo sich irgend etwas — ein
Draht oder eine dünne, kräftige Schnur — in ihren Hals eingegraben hatte.
Ich nickte und wandte mich ab. »Es ist
Molly.«
Greg stand hinter mir. »Danke.«
»Nicht der Rede wert. War es ein
Raubüberfall — weißt du das schon?« Meine Stimme war belegt und zitterte
leicht.
»Wenn, dann muß es sich um einen sehr
sonderbaren Räuber handeln.«
»Warum?«
»Ich zeige es dir.« Er führte mich ins
Schlafzimmer. Die Schubladen der Kommoden waren herausgezogen und durchwühlt,
Unterwäsche und Strümpfe bedeckten den Boden. »Wer es auch war, er hat auch den
Schrank und die Küchenschränke sehr genau durchsucht«, erklärte Greg, »aber er
hat weder die Schmuckkassette auf dem Fernsehapparat noch den kleinen
Metallsafe angerührt, der deutlich sichtbar auf dem Schreibtisch steht.
»Also ein Räuber mit einer speziellen
Absicht.«
»Einer sehr speziellen.«
Wir gingen zurück ins Wohnzimmer. »Hast
du die Mordwaffe schon gefunden?« fragte ich.
Greg nahm einen Indizienbeutel aus
Plastik vom Tisch. Ich fuhr zusammen, als ich die zusammengerollte
Vorhangschnur erblickte. Sie sah genauso aus wie das Stück, das ich
abgeschnitten hatte, als ich kürzlich meine neuen Vorhänge aufhängte. Natürlich
sehen alle Vorhangschnüre gleich aus; die meine lag vermutlich auf dem
Couchtisch, wo ich sie liegengelassen hatte.
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