Frag die Karten
er die Wahrsagerin schützen wollte. »Nein«, sagte er schließlich. »Aber Sie
glauben doch nicht etwa, daß Mrs. Antonio wegen einer Prophezeiung ums Leben
gekommen ist, oder?«
»Natürlich nicht. Dennoch finde ich das
recht interessant. Ich hätte Molly nie im Leben für abergläubisch gehalten. Sie
kam mir so vernünftig und sachlich vor.«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach das
Schweigen, das danach entstanden war. Der Lebensmittelhändler ging hin, öffnete
und drehte das Schild wieder um. Zwei Fahrer vom Großmarkt standen draußen und
wollten die bestellten Waren liefern.
‘ Ich warf meinen leeren Kaffeebecher
in die Abfalltonne und rutschte vom Hocker. »Ach, da fällt mir noch etwas ein,
Mr. Moe.« Meine Stimme klang dünn und kleinlaut.
»Ja?«
»Kennen Sie meine Freundin, Linnea
Carraway? Sie ist etwa einsachtundfünfzig groß, mit langem, blondem Haar.«
»Die Lady, die so viel Wein kauft.«
Sein Gesicht war höflich und ausdruckslos.
»Ja, die meine ich. War sie gestern
hier?« Da Linnea gestern abend statt des üblichen Scotch Wein getrunken hatte,
nahm ich an, daß sie ihn hier in der Gegend besorgt hatte. Die Läden in der
Nachbarschaft führten keine harten Alkoholika, sondern nur Bier und Wein.
»Ja«, erwiderte Mr. Moe. »Sie hat ein
paar Flaschen Wein gekauft, gleich nachdem Mrs. Antonio hereingekommen ist.
Jetzt fällt es mir wieder ein: Mrs. Antonio hat ihr deswegen sogar noch
Vorhaltungen gemacht. Sie hat ihr gesagt, sie solle nach Hause gehen, und sie
würde nachher auf einen Plausch bei ihr vorbeischauen.«
Ich stand da und starrte ihn an.
»Ist das alles, Miss McCone? Ich habe
nämlich noch eine Menge zu tun.«
»Ja, natürlich. Danke, daß Sie sich so
viel Zeit genommen haben für mich.«
Ich ging an den Lieferanten vorbei ins
Freie und bahnte mir einen Weg zwischen den Lattenkisten, die sie draußen auf
dem Gehsteig abgestellt hatten; dabei dachte ich, daß ich wohl auch einen ›Plausch‹
mit Linnea halten müßte. Als ich an der Straßenecke angekommen war, sah ich
Greg Marcus auf dem gegenüberliegenden Gehsteig. Er winkte und kam zu mir
herüber, elegant in seinem blauen Nadelstreifenanzug. Wir trafen uns mitten auf
der Straße.
»Sieht so aus, als wärst du mir
zuvorgekommen, Indianermädchen. Hast du was von Interesse herausgefunden?«
»Ich?« Ich riß die Augen weit auf und
tat ganz unschuldig. »Ich habe lediglich eine Tasse Kaffee getrunken.«
»Na klar, Kaffee und eine nette kleine
Unterhaltung. Ich glaube, ich komme demnächst auf dich zurück.«
Kapitel
3
Ich schob das Tischchen, auf dem meine
alte Reiseschreibmaschine stand, in eine Ecke meines Büros. Elf Uhr. Der
Bericht, an dem ich den ganzen gestrigen Abend und einen Teil des heutigen
Vormittags gearbeitet hatte, war endlich fertig.
Das rote Tastentelefon auf meinem
Schreibtisch summte leise. Ich drückte auf den leuchtenden Knopf und nahm den
Hörer ab.
»Nun, Indianermädchen«, begrüßte mich
Gregs Stimme, »gibst du mir die große Chance und gehst heute mit mir zum
Mittagessen?«
Wie schon am Abend zuvor, erwachte
meine Abneigung. »Ich wollte eigentlich hier schnell einen Bissen zu mir nehmen
und an meiner Spesenabrechnung arbeiten.«
»Ach, Sharon, wie unromantisch! Heute
ist ein viel zu schöner Tag für solchen Unsinn, und das Wetter kann nicht ewig
so bleiben. Komm mit mir zu einem Picknick.«
Ich zögerte noch immer. Greg und ich
hatten uns bei der Arbeit an einem Fall vor zwei Monaten kennengelernt und
waren augenblicklich zu beruflichen Rivalen geworden. Zugleich hatten wir uns
bemüht, miteinander in Freundschaft zu leben, eine ziemlich schwierige Aufgabe
angesichts unserer aufbrausenden Charaktere und der traditionellen Gegnerschaft
zwischen Polizeibeamten und Privatdetektiven. Vor sechs Wochen, nach einer
Auseinandersetzung, war ich zu der Erkenntnis gekommen, daß es zwischen uns
niemals zu einer engeren Freundschaft kommen würde, und Greg mit seiner für ihn
typischen Entschlossenheit hatte versucht, mich vom Gegenteil zu überzeugen.
Bis dato hatte ich seinen Bemühungen widerstanden.
»Komm schon. Bitte.«
»Versprichst du mir, keine Schokolade
mitzubringen?« Im Gegensatz zu anderen Männern, die die Frauen mit Blumen
überhäuften, hatte Greg mich mit Schokolade überhäuft, auf die wir beide
geradezu versessen waren.
»Ich? Warum sollte ich welche
mitbringen?«
»Greg, ich meine es ernst. Nach der
Schachtel mit See’s Konfekt vor zwei Tagen hatte
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