Frag die Karten
betrank, bis sie besinnungslos war.
»Ich meine, weil ihr auf diese Weise
das hier erspart geblieben ist.« Ich machte eine Geste auf die Vorhalle. »Molly
Antonio war besonders nett zu ihr. Ihr Tod wird Linnea sehr schwer treffen.«
Tim nickte. »Wenn sie bei Sinnen wäre,
würde sie vielleicht hysterisch werden.«
Ich wollte jetzt nicht über einen
möglichen Nervenzusammenbruch meiner Freundin reden. »Aber eines könnten Sie
für mich tun, Tim.«
»Gern.«
»Wenn die Polizei Sie nicht direkt
danach fragt, brauchen Sie nicht zu sagen, daß sie zur Zeit bei mir wohnt. Denn
sonst würden sie darauf bestehen, Linnea zu wecken, und...«
»Ich verstehe.«
»Danke.« Ich drückte seinen Arm und
wandte mich um, entschlossen, denjenigen zu finden, der den Einsatz leitete.
Wieder blockierte mir der Polizeibeamte
— den Weg und wirkte noch gelangweilter als zuvor. »Ma’am, Sie müssen warten,
genau wie die anderen.«
Ich überlegte mir gerade eine
Erklärung, die ihn möglicherweise umstimmen würde, als ein großer Mann in einem
hellen Trenchcoat auf der Treppe erschien. Greg Marcus, Lieutenant beim
Morddezernat der Polizeibehörde von San Francisco. Er kam die Treppe herunter
und strich sich dabei in einer Reflexbewegung das blonde Haar aus der Stirn.
»Greg!« rief ich.
Er hörte mich nicht.
»Gregory!«
Der uniformierte Polizist riß die Augen
auf. Normalerweise wurden Kriminalbeamte nicht auf diese vertrauliche Weise von
den Bürgern begrüßt.
Greg fuhr herum. »Sharon!« Er kam auf
mich zu und legte dann einen Arm um meine Schultern. Der Polizeibeamte in
Uniform seufzte unüberhörbar und wandte sich ab.
»Ich muß sagen, ich schäme mich für
dich«, begann Greg. »In deinem Haus ereignet sich ein Mord, und als ich am
Tatort auftauche, bist du nicht mal zu Hause. Du bist gerade erst heimgekommen,
wie?«
Ich nickte.
»Wie nachlässig von dir. Ein guter
Privatdetektiv hätte die Tote lange vor der Polizei entdeckt.«
Ich lächelte schwach und fühlte mich ein
wenig erschöpft.
»He, was ist aus der mutigen Miss
McCone geworden?« rief Greg. »Ein kleiner Mord und ein bißchen Aufregung
bringen dich doch nicht durcheinander, oder?«
Ich wußte, daß die Männer des
Morddezernats hartgesottene Burschen und Scherze an den Tatorten der Verbrechen
nicht ungewöhnlich waren, aber ein solches Verhalten paßte gar nicht zu meiner
Vorstellung von Greg. Mein Gesicht muß den Gedanken widergespiegelt haben, denn
Greg wurde sofort ernst und sachlich.
»Entschuldige. Aber das ist die einzige
Möglichkeit, wie man mit diesem Job überlebt«, sagte er. »War das Opfer eine
Freundin von dir?«
»Man könnte sagen, sie war die Freundin
von jedem, der hier im Haus wohnt.« Und es stimmte. In diesem unpersönlichen
Mietshaus hier im Missionsviertel, wo häufig die Mieter wechselten, war Molly
diejenige, die zu Weihnachten Kekse buk und für die verreisten Mieter die
Pflanzen goß, die Päckchen vom Briefträger annahm, damit sie nicht gestohlen
wurden. Sie und ein paar andere brachten Wärme in ein anonymes großstädtisches
Leben, das nur allzu oft von Gleichgültigkeit, Feindseligkeit und Verbrechen
bestimmt wurde. Molly Antonio würde mir fehlen.
»Na schön — immerhin kommt mir deine
Hilfe gerade recht.« Gregs Arm schlang sich kräftiger um meine Schultern, und
er führte mich zur Treppe.
»Moment mal. Wohin gehen wir?«
»Ich brauche jemanden, der die Tote
identifiziert, und zwar einen Zeugen, der vernünftig, geistig intakt und
sachlich ist. Der Ehemann ist hysterisch, der Hausmeister trinkt, und die
meisten deiner Nachbarn sehen nicht allzu normal aus. Also bist du dran,
Indianermädchen.«
»Großartig.« Ich schnitt eine Grimasse —
sowohl wegen des Spitznamens, der auf meine Vorfahren anspielte, als auch wegen
der Aufgabe, die er mir zugedacht hatte. Wir gingen auf die Treppe zu. »Hat Gus
sie gefunden?«
»Der Ehemann? Ja. Gegen elf, als er
zurückkam vom Dominospielen in der Kneipe an der Ecke.«
»Bei Ellen«, sagte ich mechanisch.
»Genau. Er brach zusammen, und wir
mußten den Arzt rufen — sie sind jetzt in der Wohnung des Hausmeisters.« Greg
blieb auf dem Treppenabsatz stehen und lehnte sich gegen die Wand. Seine
dunkelblonden Augenbrauen waren vor Mißvergnügen zusammengezogen, und die
Schatten ließen sein Gesicht länger erscheinen. »Sharon, ich finde diesen Mann
und seine Situation, wie er sie darstellt, ziemlich merkwürdig.«
»Wie meinst du das?«
»Der Ehemann — Gus
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