Frag die Toten
–«
»Und«, fragte sie, »wie läuft’s?«
»Gut«, antwortete er und nickte. »Ich muss zu so einer Psychotante, wie ich’s mir gedacht hab. Mom will, dass ich da jetzt zweimal die Woche hingeh. Einen Monat oder so. Aber das steh ich schon durch. Das wirklich Gute ist, dass Mom so lieb zu mir ist. Kauft mir alles Mögliche, Videospiele, DVDs. Ich hab das ganze
Star-Trek
-Original auf Blu-ray gekriegt.« Er nickte und lächelte selbstzufrieden. »Alles in Butter. Aber Cash rückt sie noch immer nicht viel raus.«
Keisha öffnete das Gefrierfach und holte die Tupperware-Dose heraus. »Hier ist dein Anteil.«
»Häh?« Er blickte auf die Tiefkühldose. »Was ist da drin? Lasagne?«
Sie ließ Wasser laufen, bis es heiß war, nahm den Deckel von der Dose und ließ das Wasser über den Dosenboden laufen. Die Soße flutschte in einem großen Block heraus, schmolz unter dem Heißwasserstrahl und gab schließlich den Beutel mit dem Geld frei.
»Mensch, du bist ja wie so ein Spion.«
Keisha öffnete den Beutel, zog das Geld heraus und reichte es Justin.
»
Es folgen weitere Meldungen. Von der Frau, die Donnerstagnacht im Raum Milford als vermisst gemeldet wurde, fehlt weiterhin jede Spur.«
»Krass«, sagte Justin und steckte die Scheine ein. Da kam Matthew in die Küche.
»Wer bist du?«, fragte er.
»Ich bin Justin.«
»Wie viele Apps hast du da drauf?«, fragte der Junge, als er das Handy in Justins Hand sah.
»Jede Menge.« Er hielt dem Jungen das Display unter die Nase. »Ich hab auch einen Haufen Spiele.«
»Mach ein Foto von mir«, sagte Matthew. »Meine Mom sagt, sie hat keine guten Fotos von mir.«
»Matthew, bitte, der Herr –«
»Kein Problem«, sagte Justin, klickte die Kamera-App an und knipste den Jungen. Dann ließ er sich von Keisha ihre E-Mail-Adresse geben, um ihr das Foto zu mailen. Mit einem »Whoosh« schickte das Handy die Nachricht ab.
Keisha reichte Matthew die Papiertüte mit seinem Mittagessen. Der Junge zog sich die Jacke an, ignorierte die Bitte seiner Mutter, den Reißverschluss zu- sowie Mütze und Handschuhe anzuziehen, und verließ das Haus.
Als sie wieder allein waren, sagte Justin: »Weißt du noch, was ich gesagt habe? Dass wir auch noch mehr zusammen auf die Beine stellen könnten? Wir beide? Ich meine, wir haben das doch super hingekriegt, oder? Und Spaß gemacht hat’s auch. Wenn ich dich nur damals am Schnuppertag in der Highschool schon kennengelernt hätte.«
»Ich hab’s dir schon gesagt: Fortsetzung folgt nicht«, sagte Keisha. »Du hattest eine gute Idee, sie hat sich bezahlt gemacht, und das war’s dann.«
Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Der Typ war nicht ganz richtig im Kopf.
»Ja … also … wenn du meinst.«
Auf dem Fernsehschirm sprach ein Mann, der einen Arm um eine junge Frau gelegt hatte, von seiner Frau. Sie solle doch nach Hause kommen. Und falls jemand zusah, der vielleicht einen Hinweis geben konnte, was geschehen war –«
»Also, danke jedenfalls. Ich muss jetzt. Wenn ich Dwayne noch länger warten lasse –«
»Psst«, sagte Keisha, die den Bericht verfolgte. Auf dem unteren Bildschirmrand war zu lesen:
Wendell und Melissa Garfield: »Komm nach Hause, Mom.«
»Oha«, sagte Justin und sah ebenfalls auf den Bildschirm. »Ein neuer Klient?«
»Dein Stiefvater wartet auf dich«, komplimentierte sie ihn hinaus.
Als sie in die Küche zurückkam, lief schon der nächste Bericht.
[home]
Vier
K eisha Ceylon betrachtete das Haus. Vielleicht besaß sie ja doch ein wenig von dieser besonderen Gabe. Manchmal hatte sie nämlich das Gefühl, dass der bloße Anblick eines Hauses ihr schon sagte, dass hinter seinen Mauern Menschen litten. Auch wenn dort die Jalousien heruntergelassen und zugeklappt waren, um fremde Blicke auszusperren.
Sie saß bei laufendem Motor im Wagen, mit Müh und Not hielt die schwindsüchtige Entfrostungsanlage die Scheiben klar. Keisha war sich sicher, dass ihr Gefühl, das Haus betreffend, nicht von dem beeinflusst wurde, was sie bereits wusste. Sie redete sich ein, dass sie auch bei einem zufälligen Spaziergang in dieser Gegend beim Anblick dieses Hauses etwas gespürt hätte.
Hoffnungslosigkeit. Beklommenheit. Vielleicht sogar Furcht.
Keisha dachte daran, was dieser Mann, dieser Mr. Garfield, wohl gerade durchmachte. Wie wurde er damit fertig? Hatte er noch Hoffnung, dass die Polizei seine Frau finden würde? Oder verlor er langsam sein Vertrauen in sie? Hatte er ihr überhaupt je vertraut? War er
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