Frag die Toten
jede andere Oberfläche, die sie möglicherweise berührt hatte. Es gab jede Menge Blut, aber nicht ihres, also konnte sie davon ausgehen, dass man keine DNA von ihr finden würde. Wenn sie wieder zu Hause war, würde sie als Allererstes ihre blutbesudelten Sachen ausziehen und verschwinden lassen.
Keisha glaubte, dass sie mit heiler Haut davonkommen konnte. Ganz bestimmt. Gut, es gab die Würgemale, die würde sie eben die nächsten paar Wochen unter einem Halstuch oder einem Rollkragenpullover verstecken müssen, doch sonst hatte sie keine sichtbaren Verletzungen.
Das war’s jetzt mit dieser Scheiße.
Das Ganze hier, das war eine Botschaft, ohne Zweifel. Keisha war zwar nie besonders gläubig gewesen, aber das hier war ein Zeichen, wie es deutlicher nicht sein konnte, eine Warnung von IHM da oben. »Schluss damit«, sagte er zu ihr.
Sie würde Schluss machen.
»Lieber Gott, mach, dass ich hier rauskomme, und ich gehöre dir«, sagte sie.
Sie ließ ihren Blick ein letztes Mal durch den Raum schweifen, über Garfields Leiche. Hatte sie auch nichts übersehen? Nein, sie hatte ganze Arbeit geleistet, da war sie sich sicher. Todsicher, könnte man sagen.
Keisha schlich sich aus dem Haus, nicht ohne dabei noch den Türgriff abzuwischen. Sie war schon auf halbem Weg zum Auto, als sie sich zufällig ans rechte Ohr fasste.
Da baumelte nichts.
Sie fasste sich ans linke Ohr. Dieser Papageienohrring war da. Doch der andere war weg.
»O Gott«, flüsterte sie.
Sie hatte keine Wahl. Sie musste in das Haus zurück und ihn suchen.
Sie kehrte um. Einen Moment hielt sie vor der Tür inne, um sich zu wappnen. Dann umfasste sie einen Zipfel ihres Mantels, drehte den Knauf und betrat gleich darauf das Haus. Sie fing bei dem Sessel an, auf dem sie gesessen hatte. Klopfte ihn ab, steckte die Finger in die Polsterritzen.
Nichts.
Sie inspizierte den Couchtisch, suchte die Teppiche ab. Der Ohrring war nirgends zu sehen.
Es gab nur noch eine Stelle zu untersuchen.
Keisha kniete sich neben der Leiche auf den Boden, schob die Hände darunter und rollte sie zur Seite. Der Teppich war mit dem Blut getränkt, das Garfield aus der Augenhöhle geströmt war.
Sie spürte eine kleine Erhebung in der Blutlache, tastete herum und hielt schließlich den Ohrring in der Hand. Der Papagei sah aus wie eine Möwe nach einer Ölkatastrophe. Nur die Farbe stimmte nicht ganz. Sie wickelte den nassen Ohrring in ein paar Taschentücher aus ihrer Handtasche, ließ ihn in die Tasche fallen und verließ endgültig das Haus.
Setzte sich in ihren Wagen.
Holte den Schlüssel aus der Handtasche.
Steckte ihn ins Schloss. Fuhr los.
Da kam ein Polizeiwagen um die Ecke.
Nein, nein, nein, nein
.
Der Streifenwagen kam näher. Keisha hätte gerne gewusst, wie auffällig die Blutflecken auf ihrem Oberteil waren. Würde der Polizist sie bemerken, wenn sie aneinander vorbeifuhren? Zum ersten Mal war sie froh, dass die Entfrostungsanlage in diesem Wagen der totale Schrott war. Eiskristalle auf der Windschutzscheibe behinderten die Sicht.
Der Abstand zwischen den beiden Autos wurde immer geringer. Keisha konnte zwei Polizisten in dem anderen Wagen erkennen. Eine Frau hinter dem Steuer, einen Mann auf der Beifahrerseite.
Einfach geradeaus schauen, ermahnte sie sich. Als ob gar nichts wäre. Nur die Ruhe.
Jetzt waren die beiden Fahrzeuge auf gleicher Höhe.
Der Streifenwagen fuhr weiter. Keisha war sich sicher, dass niemand zu ihr herüberschaute. Ihr Blick blieb nach vorne gerichtet. Erst nach ein paar Sekunden sah sie in den Rückspiegel. Gleich würden die Bremslichter des Streifenwagens aufleuchten, gleich würde die Fahrerin wenden und die Verfolgung aufnehmen.
Das Blaulicht einschalten.
Doch nichts geschah. Der Polizeiwagen fuhr einfach weiter. Vorbei an Garfields Haus.
Keisha blinkte und bog links ab.
Geschafft.
[home]
Achtzehn
R ona Wedmore forderte zwei Uniformierte an, die sie zu Garfields Haus begleiten sollten, und erfuhr von der Leitstelle, dass ein Streifenwagen gerade an dieser Adresse vorbeigefahren war. Der Wagen würde umkehren und auf Wedmores Ankunft warten.
Schon möglich, dass Garfield ihrer Aufforderung Folge leisten und widerstandslos mit aufs Revier kommen würde, aber man wusste ja nie. Deshalb war es gut, Verstärkung zu haben. Der Mann würde zwar nicht des Mordes beschuldigt werden, sich aber trotzdem auf eine Menge Ärger gefasst machen müssen. Er hatte seine Tochter gedeckt, die Leiche seiner Frau vom Tatort entfernt
Weitere Kostenlose Bücher