Frag die Toten
wenn die Müllabfuhr bis dahin noch nicht da gewesen wäre …
Ja, vielleicht hatte Keisha auch hin und wieder recht. Aber nicht immer. Wenn er sich nicht eingeschaltet hätte, hätte sie sich die fünf Riesen glatt durch die Lappen gehen lassen. Leicht verdientes Geld noch dazu. Wenn diese Beaudry ihr Geld zum Fenster hinauswerfen wollte, dann brauchte Keisha doch keine Hemmungen zu haben, es einzusammeln. Gut, er konnte schon verstehen, warum sie in diesem Fall gewisse Skrupel hatte, aber bei so viel Geld musste sie die eben vergessen. Sie musste doch nur tun, was sie immer tat. Sich genügend Unsinn ausdenken, um den Klienten in ihren Bann zu ziehen und glauben zu machen, dass er für sein Geld tatsächlich eine Leistung bekam.
Ein Kinderspiel.
Der Einzige, der hier wirklich etwas riskierte, war doch er, Kirk. Er war es, der hier in der Kälte in den Büschen hockte und auf den richtigen Moment wartete, um in der Mülltonne zu fischen.
Kirk verließ seine Deckung und hatte den Müllcontainer schon fast erreicht, da sah er, wie die Hintertür der Pizzeria aufging. Geduckt lief er weiter und verschwand hinter dem Container.
Er hörte die Tür zufallen, wusste aber nicht, ob jemand herausgekommen oder wieder hineingegangen war. Vorsichtig spähte er hinter dem Container hervor.
Es war der zweite Mann, dem er begegnet war, der Weiße. Er stand keinen Meter von der Tür entfernt. Sein Atem dampfte in der Kälte. Augenblick mal. Nein, er hatte eine Rauchpause eingelegt.
Der Mann hatte keine Jacke übergezogen, also rechnete Kirk nicht damit, dass er lange hier draußen bleiben würde. Frieren war schlimmer als Nikotinentzug, nicht wahr? Er würde sich seine Dosis Gift reinziehen und wieder ins Warme verschwinden.
Doch der Typ blieb da stehen. Dann wandte er sich um und blickte in Kirks Richtung.
Scheiße
.
Auf Händen und Füßen kroch Kirk wieder ganz hinter den Container. Er trug keine Handschuhe, und von der dünnen matschigen Schneeschicht wurden seine Hände kalt und die Knie seiner Jeans nass. Er verharrte in dieser Stellung und bemühte sich, seinen frostigen Atem so lange wie möglich anzuhalten.
Er hörte ein Pfeifen. Der Typ rauchte und pfiff dabei. Kirk versuchte, die Melodie zu erkennen, doch der Mann pfiff nicht nur leise, sondern auch noch falsch, und so dauerte es ein paar Sekunden, bis Kirk
The Long and Winding Road
ausmachen konnte.
Genau
, dachte er,
das Gefühl hab ich auch, dass sich das hier endlos hinzieht. Ist das vielleicht ein verfickter Tag. Froh bin ich, wenn der um ist.
Das Pfeifen wurde noch leiser. Es hörte sich an, als ginge der Mann in den Laden zurück. Tatsächlich hörte Kirk gleich darauf, wie die Tür aufging und wieder zufiel.
Er spähte hinter dem Container hervor. Niemand mehr zu sehen.
Ob der Kollege auch rauchte? Und wenn, nahmen die beiden ihre Rauchpausen hintereinander? Das würde bedeuten, dass der andere auch gleich herauskäme.
Kirk musste schnell handeln.
Er stand auf, ging zur Vorderseite des Containers und drückte mit dem linken Handballen den Deckel in die Höhe. Er streckte den Kopf hinein, und das Erste, was er sah, war ein Sack mit rotem Zugband. Er langte mit der freien Hand in die Tonne, packte das obere Ende des Sacks und schlang es sich ums Handgelenk.
Er zog den Sack heraus und ließ den Deckel behutsam zuklappen, um keinen Lärm zu machen. Dann schlüpfte er wieder durch die Büsche zurück auf das andere Grundstück, sorgfältig darauf achtend, dass der Sack an keinem der spitzen Zweige hängenblieb. In weniger als einer Minute war er wieder bei seinem Wagen.
Das Äußere des Müllsacks war nicht so sauber wie zu dem Zeitpunkt, als er ihn aus Keishas Haus getragen hatte. Pizzareste, verschüttete Limo und alles mögliche andere Zeug klebte daran. Diesen Dreck würde er sich ganz bestimmt nicht in die Fahrerkabine schleppen. Selbst der Gedanke, das Ding auf der Ladefläche zu haben, war eklig genug, aber da war nicht viel zu machen.
Kirk stieg in den Wagen und ließ den Motor an. Sein Blick fiel auf die im Armaturenbrett eingebaute Uhr. Fast halb vier.
Schöne Scheiße. In zehn Minuten konnte die kleine Sackratte vor der Tür stehen, wenn er nicht zu einem Freund gegangen war oder sich gerade verkloppen ließ. Kirk war zwar nicht der Meinung, dass er unbedingt da sein musste, wenn der Junge kam, doch wahrscheinlich hatte Keisha recht. Wenn er nach Hause kam und die Polizei da war, seine Mom aber nicht, würde er wahrscheinlich einen
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