Frag mich nach Sonnenschein -- Eine Italienerin in Deutschland (German Edition)
unbändig darauf, noch mehr über meine neue Heimat zu erfahren.
Katrin traf
ich von nun an fast jeden Morgen vor dem Vorlesungssaal. Sie schien kein großes
Interesse an einer näheren Bekanntschaft mit mir zu haben, denn sie schaute
immer müde und gelangweilt in der Gegend herum und schenkte mir keine weitere
Beachtung. Besser gesagt: Sie schien mich noch nicht mal zu sehen, geschweige
denn wieder zu erkennen! Nun, Italiener waren auf jeden Fall verbindlicher,
dachte ich bei mir. Dafür strotzten diese deutschen Studentinnen und Studenten
nur so vor Selbstbewusstsein. Davon konnte ich mir eine dicke Scheibe abschneiden.
Ein paar Tage zuvor hatte ich mich mit einigen meiner Kommilitoninnen in der
sogenannten Studenten-Fachschaft wiedergefunden, wo sich jeder in der großen
Runde vorstellen durfte. Ob Sie es glauben oder nicht, ich hatte so etwas vorher
noch nie gemacht. In Italien wird der zwischenmenschliche Austausch viel
lockerer und deutlich weniger formell gehandhabt. Meistens kommt man zufällig
ins Gespräch und unterhältsich eine ganze Weile, bevor einem der
Gegenüber nach dem Namen fragte - oder aber auch nicht. Meine Mutter zum
Beispiel: Denganzen Vormittag kann sie sich mit
wildfremden Menschen auf der Straße oder auf dem Wochenmarkt unterhalten, ohne
dass sie oder die Gesprächspartnerin auf den Gedanken kommen würden, Namen
auszutauschen. Persönliche Fragen wie „Sind Sie nicht die Nachbarin meiner
Schwägerin?“ oder „Kann es sein, dass ich Sie letzte Woche bei der Beerdigung von
Beppe gesehen habe?“ werden dann nur
gestellt, um die nette, unverbindliche Plauderei aufrechtzuerhalten. Natürlich
sind nicht alle Italienerinnen wie meine Mutter, Ausnahmen gibt es immer und
prinzipiell sollte man nichts verallgemeinern. Aber zurück zur Fachschaft: Während
diese Studenten sehr strukturiert und souverän der Reihe nach das Wesentliche
über sich erzählten, brach mir der kalte Schweiß aus. Was würde ich sagen? Und
wie? Man würde meinen Akzent zweifellos hören und überhaupt: Das hier war
überhaupt nicht locker und unverbindlich, es war sogar ziemlich steif und
formell, das war ich nicht gewohnt! Wenn es Ihnen nicht zu viel ausmacht, würde
ich an dieser Stelle die Beschreibung meiner Wortmeldung überspringen, es sei
denn Sie legen Wert auf peinliche Details wie zittrige Stimme, staubtrockenen
Mund und skurrile Übersprungshandlungen, aber ich gehe davon aus, das ist nicht
der Fall.
Durch dieses
Erlebnis und Katrins Kaltschnäuzigkeit frustriert, entschloss ich ein paar Tage
später, die Flucht nach vorne zu ergreifen.
Mit
entschlossener Miene und möglichst viel Selbstbewusstsein, näherte ich mich Katrin,
die wie immer auf der Sitzbank vor dem Vorlesungssaal herumlungerte.
„Also, wenn du
es ganz genau wissen willst: In Italien gibt es nicht nur eine, sondern einundsechzig
Universitäten, ich wiederhole: einundsechzig! Und das sind nur die staatlichen!
Außerdem, ebenfalls zu deiner Information, findet die Institution der
Universität ihren Ursprung in…in…rate mal…falsch, ITALIEN! HA! Mit der
Universität in Bologna 1317! Wir sind nämlich nicht alle pizzaioli!“.
Das war in
etwa, wie ich mir meinen Einsatz vorgestellt hatte. Das, was rauskam, war
wahrscheinlich nicht ganz so flüssig und souverän.
Katrin
schaute irritiert auf und murmelte:
„Sorry, ich
habe meine Kontaktlinsen nicht drinnen. Ich habe heute Nacht bei meinem
Ex-Freund übernachtet und die Reservelinsen habe ich bei meinem Freund! Bist du
die Italienerin?“, fragte sie und haute mich damit um. Ich hatte eindeutig
keine bella figura gemacht, eher eine große figura di merda [21] !
Und das war der Beginn unserer tollen Freundschaft.
Später
erklärte mir Katrin, dass sie zwar einen Freund hatte, aber immer noch an ihrem
Ex-Freund hing. Deswegen pflegte sie die Nächte bei ihrem Verflossenen zu
verbringen, der zwar keine feste Beziehung mehr wollte, aber im Prinzip nichts
gegen unverbindlichen Sex hatte, während ihr Freund zu Hause brav auf sie
wartete. Dadurch, dass sich diese Nächte eher zufällig ergaben, hatte Katrin,
die blind wie ein Maulwurf war und Tageslinsen verwendete, nie neue Linsen zum
Wechseln dabei und so musste sie sich durch den nächsten Tag mit ihrer
natürlichen, nicht vorhandener Sehkraft durchschlagen (zum Brillentragen war
sie nämlich zu eitel).
Natürlich war
ich über ihre sexuelle Freizügigkeit schockiert, aber, weil ich nicht
unangenehm auffallen wollte und ich mir fest
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