Fragmente des Wahns
sich und fing an zu lesen.
Und genau das tat er jetzt noch immer, weiterhin auf seine Entlassung wartend. Dann klopfte es an der Tür.
Sein Blick wanderte vom Thriller zum Besucher, der niemand anderes war als sein kleiner Bruder. Er grinste schadenfroh.
„Na, krankes Bruderherz. Noch alles fit im Oberstübchen?“
Was für eine Begrüßung, aber etwas anderes hatte er von Andreas auch nicht erwartet.
„Bei mir schon, doch wie schaut es bei dir aus?“
„Ha, ha.“
„Du hast mit dem Blödsinn angefangen“, tadelte ihn Alex.
„Mal im Ernst, Bruderherz. Wie geht es dir?“
Andreas wirkte aufrichtig besorgt. So kannte Alex ihn gar nicht.
„Gut, wirklich gut“, antwortete Alex. „Die Ärzte haben nichts Gravierendes festgestellt und ich darf heute ohne Bedenken das Krankenhaus verlassen … aber das weißt du ja schon.“
Alex verschwieg absichtlich den Abschnitt mit dem Psychologen. Er hatte beschlossen, niemanden davon zu erzählen. Er wollte nicht als Psychopath abgestempelt werden.
„Eben, sonst wäre ich wohl nicht hier, oder?“, entgegnete Andreas.
Sein großer Bruder hatte ihm gestern eine SMS geschickt, ob er ihn heute abholen und nach Hause bringen könnte. Er wollte seine Frau nicht zusätzlich belasten. Sie hatte heute bereits genug mit der Geburtstagsfeier zu tun. Andreas hatte natürlich zugesagt.
„Also, bist du soweit?“, fragte Andreas in Aufbruchsstimmung.
„Leider noch nicht“, erwiderte Alex.
„Woran liegt es?“
„Den Entlassungspapieren.“
„Wirklich nichts Neues. Auf Ärzte war in dieser Hinsicht noch nie Verlass.“
„Das kannst du laut sagen.“
„Also warten, oder wie?“
„Ich befürchte, ja.“
Andreas nickte. Dann setzte er sich auf einen der beiden Stühle und sah seinem großen Bruder tief in die Augen, ohne etwas zu sagen.
„Was ist?“, fragte Alex nach kurzer Zeit. Er war sichtlich genervt.
„Geht es dir auch wirklich gut?“ Andreas klang weiterhin besorgt.
„Ja, Andreas. Ja, mir geht es gut. Verdammt, was ist denn nur los mit euch?!“
„Mit uns ?“, wiederholte Andreas verwirrt.
„Ach, vergiss es.“
„Nein, Alex, das werde ich nicht. Mit dir stimmt doch was nicht.“
„Ja, da hast du allerdings recht. Weißt du, es gibt da Leute, die meinen, mich ständig fragen zu müssen, wie es mir geht und das geht mir eben langsam auf die Nerven.“
„Tut mir leid, dass ich mir Sorgen um dich mache.“
Das hatte gesessen. Zumindest schmerzte es in Alex’ Brust.
„Es tut mir leid, Andreas. Ich habe das nicht so gemeint, es ist nur … ach, ich weiß auch nicht.“
„Willst du darüber reden?“
„Nein, eigentlich nicht. Darum geht es ja gerade.“
„Okay, dann akzeptiere ich das, aber bitte kapsle dich nicht ab. Ich bin dein kleiner Bruder, vergiss das nicht.“
„Wie könnte ich, so nervig, wie du bist.“ Es war Alex’ Versuch, die Wogen wieder zu glätten. „Wie geht es Lisa und Lilli?“
„Gut, denke ich. Zumindest war es gestern so. Wir haben zusammen die Dekoration aufgebaut und Lilli ist hin und weg. Warte nur, bis ihre Freunde diese Feier sehen werden. Außerdem hat es mal wieder Spaß gemacht, Zeit mit meiner Nichte zu verbringen.“
„Freut mich zu hören.“ Alex war bedrückt. „Ich vermisse sie wirklich. Ich bin so froh, dass endlich alles vorbei ist.“
„Das glaube ich dir. Euch zusammen zu sehen ist immer eine Freude. Man spürt regelrecht eure Liebe und das ihr einfach zusammengehört. So was kann einen aber auch manchmal fertigmachen.“
„Wie meinst du das?“, bohrte Alex nach.
„Nun ja, was soll ich dazu schon großartig sagen? Du hast deine große Liebe gefunden, sie geheiratet und ihr habt eine wundervolle Tochter zusammen und nun … ich habe euch. Verstehst du, was ich meine?“
Ja, er konnte ihn verstehen. Trotzdem. Andreas so reden zu hören machte ihn irgendwie traurig. Noch nie hatte sein kleiner Bruder so offen mit ihm darüber geredet. Was war gestern nur geschehen?
„Vergiss es einfach. Ich rede mal wieder nur Unsinn. Heute geht es um dich, deine Entlassung und Lillis Geburtstag.“
„Nein, Andreas, ich will es nicht vergessen“, erwiderte Alex. „Bist du einsam oder ist es was …“
Doch ihre Konversation wurde unterbrochen, als Doktor Hauser zusammen mit Blondschopf ins Zimmer kam.
„Guten Morgen, Herr Schneider“, begrüßte er seinen Patienten. Andreas bekam nur ein kurzes Kopfnicken. Blondschopf sagte nichts. Alex wusste nun mit Sicherheit, dass er sie nicht leiden
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