Fragmente des Wahns
sie wollte diese Frage nicht beantworten.
„Mama, ich ruf dich später noch mal an, okay? Es ist gerade … ungünstig.“
„Ja. Natürlich, Süße. Ich verstehe. Aber bitte melde dich noch mal. Wenn du Hilfe brauchst, komm ich sofort vorbei und unterstütze dich. Okay?“
„Ja, danke Mama, aber es wird nicht nötig sein, glaube mir. Tschüss, Mama.“
„Tschüss, meine Süße.“
Lisa legte auf. Das Telefon landete auf dem Küchentresen und Lisa blickte zu ihrem Mann. Alex sah noch immer in die Ferne. Es herrschte Schweigen. Eine ganze Weile lang. Bis schließlich Lilli die Stille brach.
„Weiterspielen?“
Nur ein Wort, doch es reichte aus, um Lisa aus ihrer Starre zu befreien. Sie kniete sich zu ihrer Tochter hinab.
„Später, Liebes. Würde es dir etwas ausmachen, kurz allein im Garten zu spielen? Papa und Mama müssen sich nur mal kurz alleine unterhalten.“
Lilli nickte zur Antwort und verschwand sogleich im Garten. Lisa sah zu, wie ihr Mann auf dem Sofa Platz nahm und sie tat es ihm kurz darauf gleich.
„Willst du darüber reden?“, fragte sie.
Kurzes Schweigen.
„Ich weiß nicht, was ich erzählen soll“, antwortete Alex ehrlich. „Es war so …“
Erneutes Schweigen.
„Wie gesagt, du musst es mir nicht erzählen, Alex, doch du hast mir Angst gemacht … und Lilli auch.“
„Das wollte ich nicht.“
Zum ersten Mal seit dem Telefonat sah Alex ihr wieder in die Augen. Er stand kurz davor zu weinen. Er rang innerlich mit sich.
„Es hat geklingelt und ich ging ran und dann war da diese Frauenstimme …“
„Meine Mama.“
„Nein“, protestierte Alex, „es war nicht Barbara. Ich kannte sie nicht. Ich fragte immer wieder etwas, doch sie redete einfach weiter völlig wirres Zeug und ging nie auf mich ein.“
„Das Gleiche hat Mama auch über dich gesagt.“
„Ich bin nicht wahnsinnig, Schatz. Diese Frau am Telefon war nicht Barbara und sie hat auch nicht versucht, mit mir zu reden. Sie hat mir merkwürdige Fragen gestellt, über Lilli und dich. Ob du mich immer noch mit diesen Anti-Witzen nervst und so ein Zeug.
Verdammt, Lisa, diese Frau war nicht deine Mutter und sie hat alles verdreht. Sie dachte, wir würden bald heiraten und uns ein super Geschenk machen. Lauter solches, verrücktes Zeug. Ich habe sie daraufhin angebrüllt, weil ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe.“
„Und es war wirklich nicht meine Mama?“
„Nein, ich kenne Barbara. Ich kenne ihre Stimme. Ihre Art. Das war nicht Barbara. “
„Ich glaube dir ja, Alex und dennoch musst du verstehen, dass ich meine Mama am Telefon hatte, gleich, nachdem du es mir gegeben hast. Wie erklärst du dir das ?“
„Ich weiß es nicht. Ganz ehrlich, Lisa, ich weiß es nicht. Ich verstehe so viel nicht mehr.“
„Du brauchst einfach Ruhe, Alex. Vielleicht hat dich der Autounfall doch mehr mitgenommen, als du anfangs gedacht hast. Ich glaube, eine gute Portion Schlaf und die Welt sieht morgen gleich ganz anders aus.“
„Ich weiß nicht.“
„Aber ich “, protestierte nun Lisa. „Also, ich mach uns jetzt ein schönes Abendessen, dann bringen wir Lilli ins Bett und dann machen wir uns einen gemütlichen Abend auf dem Sofa. Einverstanden?“
Alex konnte nur zustimmen.
„Wunderbar. Dann ruh dich erst mal aus und ich kümmere mich um den Rest.“
Dann verschwand Lisa bereits in der Küche und ließ Alex mit seinen Gedanken allein. Er hasste sie und doch waren sie immer da. Diese Schuldgefühle und die Angst, langsam aber sicher verrückt zu werden. Doch er konnte diese Worte nicht aussprechen. Er fürchtete, sobald er das Wort „Wahnsinnig“ auch nur aussprechen würde, würde es zur Realität werden. Nein, er würde verdrängen. Alles in sich hineinstopfen, bis er aus diesem Alptraum erwachte.
Schließlich musste alles irgendwann enden, nicht wahr?
Alex hatte keine Ahnung, wie recht er doch hatte.
Ja, alles würde enden. Schon bald.
Da lagen sie nun faul und aneinander gekuschelt auf dem Sofa und sahen sich zum hundertachtunddreißigste Mal „Stadt der Engel“ auf DVD an. Lisa hatte Mikrowellenpopcorn gemacht, und wie es immer war, konnte Alex einfach nicht mehr damit aufhören, sobald er damit angefangen hatte. Zwar sagte Lisa neuerdings, dass sie Alex neuen Bauchspeck sexy fand, doch irgendwie konnte er selbst sich gar nicht damit abfinden.
„Worüber denkst du nach?“, fragte Lisa, als sie seinen abwesenden Blick bemerkte.
„Eigentlich über nichts.“
Er sah hinab und
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