Fragmente des Wahns
wahr?“
„Ja“, bestätigte Niederseher. „Dadurch scheinen die verschlossenen Erinnerungen aktiviert worden zu sein und sich mit den realen Ereignissen vermischt zu haben. Anders kann ich mir die Ereignisse nicht erklären.“
„Dann ist das jetzt wirklich die Wahrheit ?“
„Wenn Sie es so nennen wollen, ja. Ich glaube, mehr gibt es nicht mehr zu klären. Oder haben Sie noch was, Herr Schneider?“
Die Frage galt Andreas.
„Nein, außer du willst noch etwas wissen, Alex?“
„Gerade? Nein, wohl kaum. Oder doch. Was mache ich jetzt?“
„Sie meinen wegen der wiederkehrenden Erinnerungen?“
„Ja, allgemein. Ich meine, wie soll ich weitermachen? Ich habe Lisa und Lilli. Wie soll ich ihnen das nur beibringen? Wie soll ich jetzt, da ich alles nur durch Erzählungen weiß, weiterleben?“
„Ich kann Ihnen leider keine Antwort darauf geben, Herr Schneider. Es gab fünf Testpersonen. Bei Zweien hat es funktioniert, einer davon waren Sie.“
„Was ist mit dem anderen passiert?“
„Er hat sich nach drei Monaten der Hypnosereihe das Leben genommen. Das Warum wurde nie geklärt.“
„Apropos geklärt, wer war der Mörder? Wer hat meine Familie umgebracht?“
„Keine Ahnung“, sagte Andreas. „Auch dieser Fall wurde nie aufgeklärt. Es gab keine brauchbaren Spuren im Haus. Das war mit ein Grund, warum du vergessen wolltest.“
„Dann war es das also?“, fragte Alex hilfesuchend in die Runde. Die Häupter waren gesenkt und ihre Lippen versiegelt.
Ja … dies schien wirklich das Ende zu sein.
WAHRHEIT
Freitag, 23. Juli 2011
11.27 Uhr, auf der Suche nach dem Leben
„Schau mal Papa, Pinguine!“, brüllte Lilli so laut sie konnte und winkte Alex dabei zu. Sie wollte, dass er endlich zu ihr kam und mit ihr die tollen Tiere betrachtete. Er musste lächeln.
Lisa tauchte neben ihm auf und hakte sich bei ihm ein. Sie sah zu ihrem Mann auf und setzte dabei ihr bezauberndes Lächeln auf, das er so sehr an ihr liebte.
Nachdem Alex die Wahrheit erfahren hatte, hatte er sich von Niederseher verabschiedet und war mit Andreas nach Hause gefahren. Geredet hatten sie nicht mehr viel, denn Alex war immer noch wütend auf seinen kleinen Bruder.
Er hatte alles gewusst und doch hatte er nichts unternommen, um ihn aus jener Hölle zu befreien, in der Alex seit dem Autounfall gesteckt hatte. Ganz im Gegenteil, er hatte ihn auch noch dazu ermutigt zu glauben, er sei wahnsinnig.
Egal ob Andreas glaubte, das Richtige getan zu haben, für Alex war es der falsche Weg. Im Zug hatte Alex noch ein paar Fragen über seine frühere Familie gestellt, doch schnell wurde klar, dass es nirgendwo hinführen würde.
Jede Antwort hatte sich für ihn wie eine Erzählung aus einem Buch angehört und Gefühle waren dabei nicht entstanden. Alex hatte Sandra und Leonie vollständig vergessen. Sie existierten nicht mehr für ihn, weder mit dem Verstand, noch mit dem Herzen.
Am Regensburger Hauptbahnhof angekommen, hatte er sich von Andreas nach Hause fahren lassen. Lisa war überglücklich und besorgt zugleich und wollte unbedingt wissen, was passiert war, doch an diesem Abend hatte Alex einfach keine Kraft mehr.
Erst am nächsten Tag hatten sie sich am Frühstückstisch auf eine Tasse Kaffee zusammengesetzt. Alex übernahm die Führung. Zum ersten Mal wollte er sich wirklich wieder mit seiner Frau unterhalten, über alles … ohne Ausnahme.
„Ich höre mich zwar jetzt an wie Doktor Niederseher gestern, aber er hatte vollkommen recht. Man weiß wirklich nicht, wo man anfangen soll.“
Und Alex hatte einfach angefangen zu erzählen. Von seiner ersten Familie, die er vergessen hatte, über ihre Ermordung, bis hin zu dem Experiment und wer aller seine Fäden im Spiel hatte. Am Ende wusste Lisa genauso viel und wenig wie er selbst.
„Ich kann gar nicht glauben, was du mir da erzählt hast.“
Genau das waren ihre Worte gewesen. Alex konnte sie nachvollziehen. Seine Reaktion war nicht anders verlaufen. Dann waren sie an dem Punkt, wo sie eine Lösung finden mussten.
„Was denkst du jetzt?“, fragte Alex.
„Keine Ahnung. Ich meine, einerseits bin ich so froh darüber, dass du wieder hier bist und dich mir anvertraust, doch auf der anderen Seite habe ich keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.“
„Da geht es dir nicht anders wie mir.“
„Hattest du denn seither wieder solche Erinnerungen? Empfindest du dabei etwas?“
„Nein, seither nicht mehr. Ich weiß auch nicht warum. Und ja, ich empfinde schon
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