Fragmente des Wahns
dir passiert, Bruder?“, fragte Alex hilfesuchend.
Andreas musste lachen.
„Du hast ja keine Ahnung, Alex. Du glaubst, du hast gelitten, als deine Familie umgebracht wurde, als deine Erinnerungen zurückkamen? Du hast doch keine Ahnung. Ich bin es, der fast verrückt geworden wäre … nun ja, oder besser gesagt, der es geworden ist.“
„Andreas …“
„Nein, Alex. Bitte, lass es. Mach es nicht noch schlimmer, als es ohnehin schon ist.“
„Was hast du vor?“
„Keine Ahnung! Verdammt, ich dachte, du hättest dich wieder daran erinnert. Es wäre so viel einfacher gewesen, wenn du alles gewusst hättest.“
„Was hätte ich denn wissen sollen?“
„Denk doch mal ganz scharf nach, Alex. Nur einmal in deinem Leben. Du hast doch davon geträumt, nicht wahr? Und du hast ihn gesehen, oder? Dann hast du auch das gesehen.“
„ Das ?“
„Was hat dich an diesem Traum so gestört, dass du ausgerechnet mit mir darüber reden wolltest, Alex? Dein Unterbewusstsein muss es bereits registriert haben, nur du noch nicht.“
Alex versuchte sich an diesen Moment zu erinnern. Er schloss die Augen und ließ die Bilder der Nacht noch einmal in seinem Geiste ablaufen. Er sah erneut den Schatten, diesen Mann … und was er tat … und … und …
„Nein!“
„Doch, Alex. Genau das ist die Wahrheit.“
„Du?“
„Ja, Alex. Verflucht noch mal, ja.“
Tränen liefen über Alex’ Wangen.
„Ich fasse es einfach nicht. Warum, Andreas?“
„Warum?“, fragte er zurück. „Warum? Mensch, Alex, du hast ja keine Ahnung, wie alles war, bevor du es vergessen hast. Du weißt gar nichts mehr.“
„Dann erzähl es mir! Verdammt, das schuldest du mir! Wegen dir habe ich all das durchgemacht! Du hast meine Familie umgebracht!“
Alex brüllte sich die Seele aus dem Leib. Er riss an dem Seil, das seine Arme festhielt. Er wollte sich befreien, aufstehen und auf seinen kleinen Bruder einschlagen. Immer und immer wieder. Bis nur noch ein roter Brei von seinem Schädel übrig blieb.
„Schuldig? Vielleicht.“
„Du bist ein Monster.“
„Ja, da hast du allerdings recht, mein Bruder.“
Andreas stand auf und ging im Wohnzimmer umher, ohne ein Ziel zu haben. Er schien nachzudenken. Dann ging er auf den Schrank zu seiner Linken und öffnete eine Schublade.
„Doch egal, was ich jetzt sagen werde, egal, was ich dir zu erzählen habe, nichts wird daran etwas ändern. Nichts kann das Ende aufhalten.“
Andreas zog eine Pistole hervor. Er entsicherte sie und behielt sie in der rechten Hand.
„Du willst mich also erschießen? Na toll.“
„Von wollen kann nicht die Rede sein.“
„Dann mach schon, Andreas. Komm schon! Tu es! Ziel auf meinen Kopf und drück verdammt noch mal ab!“
„Nein, Alex“, erwiderte sein kleiner Bruder und setzte sich wieder auf den Stuhl. Er schlug die Beine übereinander, ehe er die Pistole auf seinen Schoß legte. „Zuerst werde ich dir alles erzählen. Es wird Zeit, wirklich Zeit, dass du dich wieder daran erinnerst, was an diesem Tag tatsächlich passiert ist.“
Sonntag, 7. Mai 2001
10.39 Uhr, Alpha und Omega
„Gehst du zur Tür, Liebling?“
„Ja“, antwortete Alex. „Bin schon unterwegs.“
Schnellen Schrittes erreichte er die Haustür und öffnete sie. Fiona stand mit ihrer Tochter dahinter und lächelte ihn an.
„Hallo Fiona“, begrüßte Alex sie und gab ihr links und rechts ein Küsschen auf die Wange. Sie war wie immer adrett gekleidet und gut gestylt.
„Kommt doch rein, die Kinder sind im Garten.“
„Gerne“, sagte Fiona und ging ins Haus. „Dann hast du es heute also wirklich aus der Arbeit herausgeschafft?“
„Ich hatte ja kaum eine Wahl“, witzelte Alex, „Sandra hätte mich sonst umgebracht.“ Er führte die beiden zum Garten, und kurz bevor er den Rasen betrat, tauchte Sandra auf und gab ihm neue Instruktionen.
„Könntest du noch schnell das Grillfleisch aus dem Kühlschrank holen und schon mal ein paar der Bratwürste draufwerfen?“
„Aber immer doch, Chefin“, antwortete Alex in einem gespielten Militärton. „Für Sie doch immer, Madam.“
„Du und deine Witze“, sagte Sandra und verdrehte dabei die Augen.
Sie war heute besonders attraktiv. Für Alex reichten allein schon ihr langes schwarzes Haar und ihre schmale feminine Figur, um ihn wahnsinnig zu machen.
Doch heute trug sie zudem ein wunderschönes schwarzes, eng anliegendes Kleid und aufreizend roten Lippenstift. Sie machte ihn scharf und am liebsten hätte er sie
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