Fragmente: Partials 2 (German Edition)
hatte. Sie beäugte die Neuankömmlinge misstrauisch, bis sie die Stadt erreichten, obwohl alle Menschen entwaffnet, durchsucht und des größten Teils ihrer Ausrüstung beraubt worden waren. Marcus hatte natürlich schon einmal motorgetriebene Fahrzeuge gesehen, aber noch nie so häufig wie hier. In East Meadow hatte man sie nur in Notfällen benutzt, wenn es auf jede Sekunde angekommen war. Zu seinem Erstaunen fuhren die Wagen hier umher, als wäre es nichts Besonderes.
An einer Kreuzung überholten sie ein Fahrzeug und später ein weiteres.
Dann erreichten sie die Stadt selbst.
Marcus hatte so lange zwischen Ruinen gelebt, dass ihn der Anblick einer durchweg intakten Stadt geradezu verstörte. Hier gab es weniger Fußgänger, dafür waren die Straßen voller Autos. Hier gab es keine Laternen und Kerzen, sondern die Straßen wurden elektrisch beleuchtet – Lampen auf Veranden, Straßenlaternen, Deckenbeleuchtung, sogar Leuchtschriften an Gebäuden. Die ganze Stadt schien hell zu strahlen. Dann, noch verwirrender, bemerkte er, dass alle Gebäude Fenster hatten. Sehr bald nach dem Zusammenbruch waren alle Glasscheiben zersprungen, denn in den Frostperioden hatten sich die Fensterrahmen der unbewohnten Gebäude verzogen. Vogelschwärme und andere Tiere hatten den Rest erledigt. In East Meadow besaßen nur die bewohnten Gebäude und die ständig benutzten unteren Stockwerke des Krankenhauses intakte Fenster. Alle anderen waren geborsten. Das Gleiche galt für fast alle Glasflächen, die sie in Brooklyn, Manhattan und New Jersey gesehen hatten. Hier bot sich ein völlig anderes Bild. White Plains ähnelte viel eher einer Stadt aus der Zeit vor dem Zusammenbruch, die von der Apokalypse in der übrigen Welt verschont geblieben war.
Doch auch das, erkannte Marcus, traf nicht zu. Die Partials waren eine Armee, und dies war eine Stadt im Kriegszustand, in der es keine Zivilisten gab. Bis auf mich, dachte er. Ich bin seit zwölf Jahren der erste Nichtkombattant, der White Plains betritt. Hoffentlich kann ich lange genug ein Nichtkombattant bleiben, um meine Aufgabe zu erledigen und wieder zu verschwinden.
Mandy fuhr sie zu einem großen Haus im Stadtzentrum, das von Barrikaden aus Sandsäcken umgeben und mit Suchscheinwerfern und Stellungen für Heckenschützen gesichert war. Hier herrschte eine düstere Stimmung. Alle Partialsoldaten schienen zu warten – wahrscheinlich auf einen Angriff. Marcus fragte sich allerdings, warum die Partials so nervös waren. Vinci führte sie ins Innere des Gebäudes und erklärte den Wachtposten der abgestuften Sicherheitsbereiche – es gab eine ganze Reihe von ihnen –, dass er einen Gesandten der Menschen mitbrachte, der mit General Trimble reden wollte, und dass er die Waffen bereits beschlagnahmt hatte. Marcus fühlte sich mit jeder Etappe und jedem Wachtposten unsicherer, so als beträte er ein Gefängnis und keine Regierungszentrale. An Wänden und Decken bewegten sich gedämpfte Lauflichter und erzeugten eine gespenstische Atmosphäre. Marcus’ Unsicherheit wurde immer größer. Vinci führte sie in einen großen Raum im obersten Stockwerk. Eigentlich war es ein überdachter Platz mit Bänken und niedrigen Tischen, der ringsum von Wohnquartieren umgeben war. Ein vergittertes Oberlicht bildete den Deckenabschluss. Hinter ihnen schloss ein Wächter den Zugang zum äußeren Flur sofort wieder ab.
»Hier werden Sie wohnen«, erklärte Vinci. »Es ist nicht das komfortabelste Quartier, aber vermutlich immer noch besser als Ihre sonstigen Unterkünfte.«
»Ohne Frage«, erwiderte Marcus. »Wo ist der Schokoladenspringbrunnen? Ich fände es echt enttäuschend, wenn er nicht vom Rücken eines verzauberten Eisbären sprudeln würde.«
»Wir bleiben nicht lange«, schaltete sich Woolf ein. »Wir wollen mit Trimble sprechen. Ist sie im Haus?«
Vinci schüttelte den Kopf. »Sie ist beschäftigt«, sagte er. »Warten Sie hier!«
»Wie lange sollen wir warten?«, fragte Marcus. »Eine Stunde? Zwei Stunden?«
Eine der äußeren Türen öffnete sich, und dahinter kam eine kleine, aber ordentliche Wohnung zum Vorschein. Eine Frau trat eilig nach draußen und verzog das Gesicht, als sie die Besucher entdeckte. »Gehören Sie nicht zu Trimbles Leuten?«
»Sind Sie etwa gar nicht Trimble?«, fragte Woolf die Frau. Er wandte sich an Vinci. »Was geht hier vor?«
»Ich warte schon seit gestern«, erklärte die Frau. Sie kam auf die Neuankömmlinge zu. Marcus schätzte sie auf Ende fünfzig
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