Fragmente: Partials 2 (German Edition)
in ein neues Versteck und ließen eine weitere Sprengfalle zurück. Dann hätte Kira die Spur verloren. War das Feuer durch einen Unfall entstanden? Waren sie inzwischen so nervös, dass sie sofort flohen? Kira konnte es nicht wissen, und die Unsicherheit machte sie verrückt. Dies war eine der wenigen Situationen, in denen die langsame, behutsame Vorgehensweise zu riskant war. Sie hatte schon fünf Tage vergeudet. Es war besser, sich sofort auf den Weg zu machen, statt das Risiko einzugehen, ihre einzige gute Spur zu verlieren. Also packte sie, überprüfte das Gewehr und begann den langen Abstieg durch die pechschwarze Finsternis des Treppenhauses.
In den unteren Stockwerken trieben sich Wildkatzen herum und suchten mit schillernden Augen in der Dunkelheit nach Beute. Kira hörte, wie sie sich im Schatten bewegten, warteten, beobachteten und zuschlugen – das Fauchen der Raubtiere, der Todeskampf der Opfer.
Bevor sie das Gebäude verließ, beobachtete sie eine Weile die Straße, huschte dann lautlos von Fahrzeug zu Fahrzeug und blieb so gut wie möglich in Deckung. Das Gebäude, in dem sie das Lagerfeuer entdeckt hatte, befand sich ungefähr fünf Kilometer nördlich von ihr, also ungemütlich nahe an dem riesigen Wald im Central Park. In der ganzen Stadt lebten wilde Tiere, aber der Park war das Heim der meisten größeren Kreaturen. Kira lief, so schnell sie es wagte, verzichtete auf die Taschenlampe und benutzte nur das Mondlicht zur Orientierung. In dem bleichen Licht wirkten die Schatten tiefer und gefährlicher, außerdem schien der Boden ebener zu sein, als er tatsächlich war. Sobald sie sich zu schnell bewegte, stolperte Kira auf dem holperigen Untergrund. Sie machte einen Bogen um die Westseite des Parks und hielt nach Tieren Ausschau, konnte draußen im Freien jedoch kein einziges entdecken. Das war nicht gut, denn solange Hirsche umherstreiften, hatten die Raubtiere Lohnenderes zu jagen als Menschen. Verwilderte Hauskatzen waren bei Weitem nicht die schlimmsten Räuber in der Stadt.
Am Rand ihres Gesichtsfelds regte sich ein Schatten. Sofort fuhr Kira herum und sah … nichts. Sie hielt inne, um zu lauschen. Ja, da war es. Ein tiefes Schnaufen, fast zu leise, um es wahrzunehmen. In der Nähe atmete ein sehr großes Lebewesen. Nein, es atmete nicht nur, sondern es brummte und knurrte beinahe. Ein Wesen, das sich sehr gut zu verstecken verstand.
Kira wurde gejagt.
Vor ihr lag ein großer Platz, dessen Betonfläche rissig und gewellt war, überall wuchsen hohe dunkle Gräser hervor. Im Mittelpunkt stand eine reglose Statue, ringsum verlassene Autos, deren Reifen längst die Luft verloren hatten. Langsam wich Kira an eine Wand zurück und entfernte sich damit aus der unmittelbaren Angriffslinie des Räubers. Sie hielt den Atem an und lauschte. Das Schnaufen war immer noch zu hören, dieses dumpfe Grollen, wenn die riesigen Lungen Luft aufnahmen und wieder abgaben. Den genauen Standort des Räubers konnte sie jedoch nicht ausmachen.
In der Stadt gibt es Panther, dachte sie. Ich habe sie tagsüber beobachtet. Panther und Löwen und einmal, kaum zu glauben, sogar einen Tiger. Flüchtlinge aus einem Zoo oder einem Zirkus, gut genährt dank der Herden wilder Hirsche und Pferde, die im Central Park umherstreifen. Im letzten Jahr habe ich sogar Elefanten gehört. Ob die Raubtiere auch Elefanten reißen?
Konzentrier dich!, ermahnte sie sich selbst. Sie fressen dich, wenn du keinen Ausweg findest. Löwen, Panther oder noch schlimmere Bestien.
Panther. Ihr fiel etwas Schreckliches ein. Panther jagen doch eigentlich in der Nacht, aber ich habe sie nur tagsüber beobachtet. Jagen sie mittlerweile jederzeit, oder ist dieses Wesen im Dunklen noch viel gefährlicher als tagsüber? Ein derart grässliches Geschöpf, dass sogar die Panther ihre Gewohnheiten ändern mussten, um ihm auszuweichen? Jagt mich ein Panther, oder verkriechen sich die Panther, um dem Wesen zu entgehen, das gerade hinter mir her ist? Auf einmal fiel ihr die Broschüre von ParaGen wieder ein – Drachen und intelligente Hunde, genveränderte Löwen. Wer konnte wissen, was sie sonst noch alles ausgeheckt hatten? Sie hatten die Partials als perfekte Soldaten konstruiert – hatten sie auch ein perfektes Raubtier entworfen?
Kira blickte verstohlen zur Straße zurück, auf der sie gekommen war, und schüttelte den Kopf, als sie die lange Reihe zerstörter Autos und Lieferwagen sah. Das Wesen konnte sich hinter jedem dieser Fahrzeuge verstecken
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