Frame, Janet
vor,
«Gib mir die erste und die letzte Seite, Toby», sagte er.
Toby erhob sich vom Sofa. «Du kannst alles haben, Dad, ich bin damit fertig. Steht nichts Rechtes drin. Und Fay Chalklin ist übrigens verlobt.»
«Du machst Spaß», sagte seine Mutter entzückt.
Toby sah sie an, als ob er sagen wollte, ja, ich mache Spaß, es ist nicht wahr; dann lächelte er geheimnisvoll und ging in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett. Er zog den Brief erneut aus der Tasche und las ihn. Er dachte: Herzlich Deine Fay Chalklin. Sie hat sogar ihren Nachnamen dazu geschrieben, und Mum und Dad würden sich freuen, wenn du kommst, Mum und Dad würden sich freuen, wenn du kommst. Wenn ich das untere Ende abreiße und den Brief offen herumliegen lasse, wird keiner wissen, dass sie nicht Innigst Deine Fay geschrieben hat. Oder Alles, alles Liebe. Aber wer soll ihn schon finden, und wo soll ich ihn herumliegen lassen? Oder wer würde sich darum scheren, wenn er ihn fände, oder sich dafür interessieren, was sie geschrieben hatte. Alles Liebe Fay. Aber wenn doch nur. Er las den Brief laut, jedes Wort, von Anfang an, Liebster Toby, bis zum Schluss, Innigst Deine, und er lächelte beim Lesen. Dann roch er an dem Brief. Lavendel, Maiglöckchen, Französischer Farn, wie hießen noch die Parfums, die seine Schwestern benutzt hatten? Chicks, die oben im Norden verheiratet war und Kinder hatte, in einem schicken Haus mit den neuesten Raffinessen wohnte, und Francie, die ganz jung verbrannt war; und er hatte auf dem Sofa im Haus der Harlows gesessen, die jetzt Chicks’ Schwiegereltern waren, und einen Anfall bekommen, weil sich ein riesiger Igel hinter ihm durch die Tür gequetscht hatte, mit brennenden Stacheln. Und Daphne, die jetzt schon lange in der Anstalt und nicht ganz richtig war.
Innigst Deine Fay.
Mir träumte einst, ich sah ein Haus mit tausend Geschossen,
tausend Fenstern, tausend Türen, tausend Gelassen.
Nicht eins davon war unser, Schatz,
nicht eins davon war unser.
Das hatte er irgendwo gelesen, warum fiel es ihm wieder ein?
Dann zerriss er den Brief und nahm sein Portemonnaie aus der Tasche, um sein Geld zu zählen, denn Geld war jetzt sein größter Schatz; und er fuhr mit dem Daumen über die gerillten Ränder der Sixpence-Münzen und der Shillings und Florins und Halfcrowns. Er ließ die Silber- und Kupfermünzen über den Toilettentisch rollen, bis sie torkelten und umfielen. Bis zum nächsten Jahr, dachte er, müsste ich Geld genug haben, um eine eigene Existenz zu gründen. Oder noch früher. Und um mich zurückzulehnen und auszuruhen.
21
Toby ging nicht zu der Geburtstagsparty. Und er ging auch im Frühling nicht zu Fay Chalklins Hochzeit mit Albert Crudge, obwohl er in der Zeitung davon las und eine Einladung in silberner Schnörkelschrift erhielt.
«Du musst aber trotzdem ein Geschenk schicken, Toby», sagte seine Mutter.
«Was kann ich ihr denn schicken?»
Seine Mutter sagte: «Nun, nichts Persönliches wie Unterwäsche oder Schmuck; irgendeine Kleinigkeit, für den Haushalt vielleicht, die Küche oder das Esszimmer, oder etwas zum Blumen hineinstellen, irgendwas Kleines und Nützliches. So machte man es jedenfalls zu meiner Zeit.»
Also kaufte Toby ein Paar erstklassiger Leinenlaken und ein halbes Dutzend Geschirrtücher und brachte sie eines Nachmittags in der Woche vor der Hochzeit vorbei. Fay war allein zu Hause und führte ihn am Wohnzimmer vorüber, wo die Geschenke auf dem Tisch und auf dem Sofa lagen.
«Vielen herzlichen Dank für das nützliche Geschenk, Toby. Alle sind so nett zu mir.»
Sie klang erstaunt.
«Du kannst dir nicht vorstellen, wie nett alle sind. Die alte Dame in unserer Straße hat mir ganz süße leinene Teedecken geschenkt, mit blauen Ecken und Weidenmuster und einem Liebespaar, das über eine Brücke geht, und mit diesen hübschen wedelnden chinesischen Bäumen. Ich möchte schrecklich gern einmal nach China fahren. Wäre es nicht wunderbar, wenn Albert und ich nach China gehen würden?»
«Ja», sagte Toby und dachte: Sie hat in der Spinnerei gearbeitet. Ob sie blind ist und ihre Augen sich in Neon-Glühbirnen verwandelt haben? Ihr Gesicht ist blass. Ihre Hände bewegen sich hin und her wie Weberschiffchen, angefüllt mit Träumen von ihrer Zukunft, wenn sie sterben muss.
«China ist mein Lieblingsland», sagte Fay. «Ich habe China schon immer gemocht.»
Sie sprach davon wie von einem Gericht, das ihr seit ihrer Kindheit vorgesetzt worden war und das sie gegessen und
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