Frame, Janet
und ohne vorüberziehende Vögel; und Tobys Vetter spielte Orgel, Choräle, und war fromm, und die Cousine sprach ein Tischgebet, ganz unangekündigt, sodass Toby schon zu essen angefangen hatte und der Onkel ihn strafend ansah. Und sie führten ihn den ganzen Tag herum, zuerst in den Botanischen Garten, durch das Gewächshaus, wo sie vorsichtig über die Schläuche stiegen und riesige rosa Blumen berührten, deren Namen in einer fremden Sprache auf einem Stück Holz verzeichnet waren und die festgebunden waren, damit sie nicht fliehen konnten; und jede Blume im Gewächshaus und jeder Farn in der Farnabteilung war zum Ansehen da, und was für eine Menge Menschen dort auf und ab gingen und guckten und sich umdrehten und sagten:
«Das ist eine hübsche Farbe»,
oder
«Der Farbton gefällt mir, er ist wie Mags Kleid, nur dunkler»,
oder
«In dieser Farbe kann man jetzt diesen Stoff bekommen, den man nicht bügeln muss»,
oder
«Was für bezaubernde Blumen! Man muss wirklich staunen, findest du nicht?»
Und dabei drehten alle Leute die Köpfe hin und her wie Puppen.
So verbrachte Toby den Tag mit Anschauen, als Nächstes die Orchestermuschel, wo verschiedene Kapellen spielten, und dann den Zoo, wo der Eisbär einen alten gelben Pelzmantel trug und rote, triefende Augen hatte, als wäre er erkältet. Alle Tiere schienen kranke Augen zu haben, als hätten sie zu viel ins Tageslicht gesehen, und Toby fragte sich, ob vielleicht sein Onkel und seine Tante und sein Vetter und seine Cousine und er selbst auch rote Augen hatten, vom vielen Schauen, und er fragte seine Cousine:
«Habe ich rote Augen?»
«Sei nicht albern», sagte sie. «Man hat nur rote Augen, wenn man geweint hat oder so.»
Und dann ging der Onkel, der sich für Naturgeschichte interessierte, mit ihnen die Brückenechse ansehen. Sie standen eine halbe Stunde davor und warteten, dass sie sich bewegte, aber sie schien zu schlafen, und das Haus, in dem sie wohnte, war stickig, und die Cousine musste auf die Toilette, und das mussten sie alle, nur hatte es keiner sagen wollen. Also gingen sie alle unter das Denkmal hinunter, die Frauen auf der Frauenseite und Toby und sein Vetter und sein Onkel auf der Männerseite. Der Fußboden war aus Stein und mit schleimigen grünen Algen überzogen. Ein Wasserhahn war da, der ständig tröpfelte und nicht abgestellt werden konnte. Und es gab ein kleines Fenster, durch das man nicht hindurchsehen konnte; es war zerbrochen und mit Maschendraht geflickt, und der Onkel sagte, es sei von Halbstarken eingeworfen worden; davon, sagte er, gebe es viele in der Stadt.
Toby fragte, wie sie aussähen und was für eine Sprache sie sprächen und ob sie sich wie Menschen kleideten und ob sie in Höhlen wohnten oder wie. Und der Onkel sagte mit der gleichen Stimme, mit der er gesagt hatte:
«Nachgewachsener Busch, mein Junge.» –
«Du hast noch von nichts eine Ahnung, Toby. Die Stadt ist ein furchtbarer Ort.»
30
So wanderte er also die ganze Nacht mit seinem Koffer und dem Mantel über dem Arm durch die Straßen der Stadt, die ein Dschungel genannt wurde. Nach seiner Ankunft sah er zuerst nur wenige Menschen – einen Polizisten auf Streife, der prüfte, ob die Ladentüren verschlossen waren; Motorradfahrer mit Lederjacken und Autobrillen, die sich vor einer Milchbar drängten; eine Frau, Chicks, groß und dunkel und blass, die Farbe aus dem Gesicht gewaschen und mit müden Augen, die neben den Briefkästen mit ihren riesigen, obszönen Mäulern vor dem Postamt stand. Und Toby dachte an die Geschichte, wie die Seele aus dem Körper fliegt, und sah zu, wie allen, die vorübergingen, die Seele heraus und dann in den Briefkasten flog, und wie sie, ohne es zu wissen, seelenlos weitergingen. Und er sah einen kleinen Jungen, der furchtsam zu ihm aufblickte und dachte:
Der Mann da hat eine Tüte Bonbons in der Tasche für mich, und eine Maske aus schwarzer Seide und eine Strahlenpistole, und irgendwo hat er ein unsichtbares Raumschiff geparkt, mit dem er mich zum Mond oder zum Mars entführen will. Und das Kind fuhr entsetzt zurück, als Toby es ansprach:
«Hallo, kleiner Mann, hast du dich verlaufen?»
Dann kam die tote nasse Zeit der glänzenden Straßen, ehe die Kinos aus waren, und da war ein hochgewachsener Mann im schwarzen Seidenmantel, so nass und glänzend wie die Straße, und er ging von nirgendwo nach nirgendwo. Es war ein Nachtportier auf dem Weg zur Arbeit in einem Hotel, wo er die Zeitungen im Hauswirtschaftsraum
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