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Frame, Janet

Frame, Janet

Titel: Frame, Janet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wenn Eulen schrein
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Drucksachen zu Beerdigungen, Hochzeiten, Geburtstagen und anderen wichtigen Gelegenheiten spezialisiert sind.
    Aber wie Mutter wohl aussehen mag? Ob sie wie Pergament aussieht und ihre Augenlider wie gelber Krepp herunterhängen, wie ich es in einem Buch gelesen habe? Ich glaube nicht ganz, dass sie wirklich tot ist, und doch bin ich froh, bin ich froh über ihren Tod.
    Donnerstag
    Habe ein paar Telegramme und Beileidskarten von Freunden bekommen, die von Mutters Tod gehört oder davon in der Zeitung gelesen haben. Ich wünschte, Dad hätte nicht –
Ich gehe voran, dir einen Ort zu bereiten,
    oder irgend so einen Text in die Zeitung gesetzt – es wirkt so geschmacklos; und jetzt wird sich die Familie wahrscheinlich jedes Jahr einen Reim ausdenken und bei den Nachrufen in der Zeitung veröffentlichen und mich vor meinen künstlerischen Freunden blamieren.
    Heute ist die Beerdigung.
    Peter hat einen Brief von der Schulschwester mitgebracht, dass seine Zähne nachgesehen werden müssen, und ich gehe am nächsten Dienstag um drei mit ihm in die Klinik.
    Mutter wird im Familiengrab beerdigt, wenn Platz für sie ist. Aber mein Vater wird verkümmern, ich fürchte, er wird auch sterben, und wie seltsam, sich vorzustellen, dass mein Vater tot ist, dieser kleine Springteufel voll Grausamkeit, Tyrannei und kindischer Abhängigkeit. Was wird Toby machen? Und Daphne?
    Ach, meine Mutter war groß wie der Arm des Landes, der die See hält und nichts verschüttet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie tot ist. Ich sehe sie vor mir, wie sie zu Hause die kleinen Kuchen auf das Blech legte oder wie sie vor sich hin summte, wenn sie die Schüsseln mit dem Zipfel eines schmutzigen, nassen Geschirrtuchs auswischte, oder wie sie im Schnee stand, als wir im tiefen Süden in den geranienroten Eisenbahnhütten wohnten; ihre Stiefel versanken im Weiß, und sie stand da und sagte zu uns:
    «Kinderlein, Kinderlein, ein kleines Wachsauge ist bei dem kalten Wetter zu uns gekommen», und das hieß eigentlich, Kinderlein, Kinderlein, ein Wachsauge war zu ihr gekommen, um sich vor dem Schnee zu verbergen und bei ihr Honig zu suchen, denn sie wusste um ihre Größe und Süße und konnte sich nicht bewegen, ohne etwas davon zu verschütten, obwohl ich sie am liebsten ganz fest umschlungen hätte, die Arme wie Land um einen See, damit sie für niemanden etwas verschüttete außer für mich, denn ich war die Jüngste; und doch ist es nicht meine Mutter, um die ich trauere, es ist die Großmutter meiner Kinder; nur, ja, es ist doch auch meine Mutter, die eigentlich schon längst hätte sterben müssen, so müde war sie vom Ausfegen ihres Hauses und der Welt; und ich kletterte immer auf ihren Schoß und machte ihre Bluse auf und nahm ihre Brustwarze in den Mund, denn es war niemand da, der nach mir kam und sagen konnte:
    «Das gehört mir.»
    Ach, ich weiß nicht, ich bin schon halb wie Daphne, dass ich das hier schreibe, es ist sonst nicht meine Art; als ob ein Zauber über mich gekommen wäre.
    Freitag
    Der Alltag hat mich wieder. Ich scheine jede Zeitrechnung verloren zu haben. Nächste Woche kommt Toby für eine Nacht. Ich habe gebetet und gebetet, dass er nicht kommt, denn wir sind jetzt mit Broadfoots befreundet, und wenn Harold, das ist Dr. Broadfoot, Toby sieht und vielleicht errät, dass er Anfälle bekommt – man sieht es an Tobys Augen und seinem roten Gesicht und seinem gelegentlichen Stottern, das fast wie das Lallen eines Betrunkenen klingt –, wenn Harold das alles bemerkt, dann werde ich mich nie mehr von der Schande erholen. Toby, warum siehst du nicht ein, dass ich dich nicht haben will, dass du nicht in mein Leben gehörst, dass ich, die ich als kleines Mädchen mit dir gespielt und Schätze und kuriose Wunder in der Müllgrube gesucht habe, jetzt eine erwachsene Frau bin und ein glückliches, normales Leben führe und nie wieder etwas mit deinen seltsamen Gewohnheiten und deinen Anfällen zu tun haben will.

29
    Toby las das Tagebuch nicht weiter. Er klappte das Buch zu, beugte sich vor und warf es ins Feuer; dann fiel ihm ein, dass er in der Garage unter dem Haus ein hölzernes Schaukelpferd gesehen hatte, und er schlich leise hinaus und die Treppen hinunter, drehte das Licht in der Garage an und betrachtete das leuchtend blaue Schaukelpferd mit den goldenen Steigbügeln und dem silbernen Zaum, der für immer in dem hölzernen Maul lag, und die Glasaugen, die ein-, zweimal im Licht blinzelten; und Toby nahm das Schaukelpferd und

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