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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Beim wöchentlichen Yom Rishon gab es immer viel Gelächter und Tanz - und viele Geschichten. Die Angehörigen der Stämme hätten wunderbare Versuchskarnickel für die Zielgruppenstudien von Fernsehforschern abgegeben; sie waren ein äußerst aufmerksames Publikum.
    »Wir sollen wie Schafe sein«, sagte N’tan, und die Zuhörer stöhnten auf.
    »Wenn du nicht eine so bezaubernde Braut hättest, würden wir uns wirklich Sorgen um dich machen!«, rief ein Gibori ihm zu.
    N’tans hochschwangere und knallrot angelaufene Braut schleuderte einen Brotlaib auf den Zwischenrufer. »Er muss über Schafe reden, wenn er mit euch spricht, damit du, Dov ben Hamah, ihn auch verstehst!« Alle lachten.
    Der Tzadik sprach weiter. »Ein einziger Hirte soll uns leiten, einer einzigen Stimme sollen wir folgen.«
    Scheinbar gedankenversunken zwirbelte er seine Schläfenlocken. »Wir Stämme sollen keine anderen Götter verehren, so wie es andere Völker tun. Wir sind keine Nation unter vielen. Für uns ist el haShaday kein Teil der Natur. Er ist keine Jahreszeit, kein Wetter, er ist nichts, was wir berühren oder sehen können. Er ist nicht das Land.«
    Er sah seine Zuhörer an. »Was ist dies für ein Land? Was hat Shaday uns gegeben?«
    »Chalev oo’d’vash, wie die Weisen sagten«, meldete sich ein junger Gibori stolz.
    Mein Lexikon zeigte mir einen Milchkarton und dann eine Bienenwabe. Milch und Honig. Schon klar.
    Ich reagierte inzwischen nicht mehr so fassungslos, wenn mir ins Gesicht gebrüllt wurde, was ich aus der Bibel kannte. Ich hoffte, dass Cheftu irgendwo hinter diesem Verschlag in der Dunkelheit stand und zuhörte. Bestimmt ging ihm dort im Dunkel, unter den wie Sand am Meeresstrand verstreuten Sternen, das Herz auf. Es gab Gott wirklich. Was in der Bibel stand, war wahr.
    Sein Glaube war tief, viel tiefer als meiner, doch unsere Überzeugungen waren schon immer verschieden tief gewesen. Dass ich nicht fester - und inbrünstiger - in meinem Glauben war, machte ihn traurig, das wusste ich. Doch wenn ich, nur um ihn zu trösten, behauptet hätte, aus tiefstem Herzen zu glauben, wäre das unaufrichtig gewesen.
    Er empfand eine beinahe schlichte Ehrfurcht bei der Vorstellung, in Davids Israel zu sein. Ich dagegen wartete nach wie vor darauf, dass bei mir der sprichwörtliche Groschen fiel, doch zumindest festigte sich während des Wartens in meinem rationalen, gebildeten und durch und durch westlichen Gehirn die Überzeugung, dass alles, was ich je über die hebräische Mythologie gehört hatte, der Wahrheit entsprach.
    »Nachon!«, sagte N’tan. »Wir sind keine Pelesti oder Mizri; wir haben keine Götter für die verschiedenen Jahreszeiten.
    Shaday hat uns fruchtbares Land geschenkt, habe ich Recht?«
    »Sela!«, riefen alle. Ich hatte mitbekommen, dass Sela etwa dem »Amen, brother!« in einer Gospelkirche entsprach; außerdem konnte es als Segenswunsch verwendet werden.
    »Sela«, wiederholte N’tan. »Die Fruchtbarkeit des Bodens liegt im Land. Wir, wir selbst bestimmen darüber, wie wir sie nutzen. Durch unser Verhalten bestimmen wir, wie viel der Boden uns gibt und wie oft es regnet.
    Wir kasteien uns, um niemals zu vergessen, darum sind unsere Zweige auch mit rotem Faden gebunden.«
    Hä?
    N’tan zupfte kurz an seinem Bart und starrte in die Ferne, während alle Blicke auf ihn gerichtet waren. »Unsere Traditionen konzentrieren sich auf das Erinnern. Erinnert euch daran, was Shaday für uns getan hat, als Er uns aus Ägypten führte.«
    O ja, daran erinnerte ich mich. Sehr gut sogar.
    Alle sagten: »Sela.«
    »Erinnert euch daran, wie Er in der Wüste für uns gesorgt hat.«
    »Sela.«
    »Erinnert euch, wie Er als Todesengel über uns hinwegflog.«
    Ein Schauer überlief mich bei der Erinnerung an jenes grauenvoll schöne Gesicht, an die Klauenzeichen, die es hinterließ, an die nächtlichen Schreie, als es Opfer um Opfer einforderte.
    »Sela.«
    »Erinnert euch daran, wie Er die Ägypter im Meer untergehen ließ.«
    Gold und Leichen, die auf den Wellen trieben, dann das machtvolle Rauschen des Windes, der die Wasser beruhigte und reinigte.
    »Sela!«
    »Ihr müsst euch erinnern, erinnern, erinnern!«
    Begeistert trommelten sie mit den Knöcheln auf die Tische. N’tan verstand es, das Blut in Wallung zu bringen. Er wandte sich an die Menge. »Seit Generationen, seit wir unter der Führung von Y’shua und Ka’lib in dieses Land kamen, sind die Tzadikim und Kohanim zum Berg Gottes in Midian gepilgert, um ihrer

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