Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
über Fragen geben. Falls dieser Priester unversehrt wieder abreiste, wäre allzu offensichtlich, dass sie gemeinsame Sache machten. Schon jetzt würde Echnaton nach Einzelheiten fragen, die sie sich erst ausdenken musste.
»Hast du je zuvor den Biss von Leder gespürt?«
Er lächelte spröde. »Nur bei meinem alten Lehrer, der immer behauptete, das Ohr eines Jungen sitze auf seinem Rücken. Je öfter er uns schlug, desto besser würden wir hören.«
Ein weit verbreiteter ägyptischer Glaube, wie sich RaEm ent-sann. »Wenn du ihn spürst, musst du ausatmen, und zwar aus dem Bauch. Höre auf meinen Atem, und tue es mir gleich.«
»Wirst du die Peitsche selbst führen?«
Sie biss sich auf die Lippe und kehrte ihm den Rücken zu. Es schien so lange her zu sein, diese vielen Männer und Frauen. Adlige beiderlei Geschlechts, die Mohn oder Lotos aßen, zu viel tranken und dann um ihre Peitsche bettelten. Wie hatte sie das damals erhitzt und erregt. Selbst der Matrose auf dem Schiff, dessen Leib sie mit Blut überzogen hatte, um ihn dann zu benutzen, hatte sie erregt. Schmerz und Blut, beides war ihr wie ein seltenes, kostbares Mitbringsel vom Gipfel des Lebens erschienen. »Möchtest du das?«, fragte sie.
»Ich vertraue dir«, antwortete er. »Du wirst tun, was für Ägypten nötig ist.«
»Sklaven!«, kreischte sie und wirbelte herum. Sobald die Türen aufflogen, wurde Horet an beiden Armen gepackt. Hastig verbarg er seine fassungslose Miene. »Peitscht ihn aus!«, brüllte sie und deutete dabei auf ihn. »Er hat es gewagt, mit seinem Geschwätz von Amun-« - sie spie aus - »Re, diesem mickrigen, altmodischen Gott aus Waset, die Gemächer zu beflecken, die dem mächtigen Aton geweiht sind!« Ein Aufseher zog geschwind die Peitsche und probierte sie am Boden aus, während RaEm zeternd im Raum herumstolzierte.
»Idiot!«, fuhr sie den Mann an und riss sie ihm aus der Hand. »Wieso probierst du deine Peitsche an den Kacheln aus, wenn du sie an seinem Rücken ausprobieren kannst? Dreht ihn herum!«, befahl sie.
Der Priester wurde herumgewirbelt, als hätte man ihm einen Spieß durch den Leib gerammt. Das Leopardenfell wurde ihm von den Schultern gerissen, sein Schurz gelöst und seine bleiche, bibbernde Hinterseite entblößt. RaEm hob die Peitsche und ließ sie auf seinen Rücken knallen, wobei sie sorgsam darauf achtete, laut auszuatmen, während die Vibrationen durch ihren Arm nach oben liefen. Er hatte die Luft angehalten und dadurch seine Qualen vergrößert.
Sie schlug noch einmal zu, dann trat sie zu ihm und riss seinen Kopf an der Haut im Nacken zurück, als wäre er eine Katze. »Polytheistischer Köter!« Sie spuckte ihm auf die Wange. Kaum hörbar befahl sie ihm, im gleichen Rhythmus zu atmen wie sie. Gleich darauf schleuderte sie ihn von sich, kehrte auf ihre ursprüngliche Position zurück und peitschte ihn abwechselnd mit beiden Armen durch. Rote Schwielen woben sich wie das Muster eines Korbes über seinen Rücken.
Aber er atmete in ihrem Rhythmus. Auch wenn er Schmerzen leiden musste, hatte er sie doch beträchtlich verringert.
»Gebt ihm seinen Schurz zurück und jagt ihn heim nach Wa-set«, verkündete RaEm, während sie sich wieder auf ihrem Thron niederließ. Ihre Kleider waren schweißnass und die Krone rutschte ihr in die Stirn. »Nein! Wartet, bringt ihn zu mir!«
Was sehen sie?, fragte sich RaEm. Sie beobachteten Se-menchkare mit großen Augen, während der Priester vor ihr zu Boden gestoßen wurde, mit auf dem Rücken gefesselten Händen, sodass er auf das Gesicht fiel. Sie hob seinen Kopf weit genug an, um ihm in die Augen sehen zu können. Bemerkten sie, wie weiß seine Haut wurde, als sie ihm etwas zuflüsterte? Dann presste sie ihren Fuß gegen Horetatons Stirn, stieß ihn vom Podest hinab und rief nach Wein.
Kurze Zeit nachdem der Hohe Priester aus dem Raum geschleift worden war, schickte sie die vielen Sklaven, Soldaten und Schreiber hinaus.
Wo gab es noch Gold?
Sie hatte in alle Gaue Ägyptens Kundschafter ausgesandt, in der Hoffnung, dass sich irgendwo eine noch nicht geschröpfte Goldader fand. Hundert Männer durchkämmten allein den Sinai. Sie trank einen weiteren Becher Wein, um ihre Angst zu dämpfen. Würde irgendwann ans Licht kommen, was sie heute getan hatte?
Würde Ägypten eine Chance bekommen, am Leben zu bleiben?
Hilf mir Gold zu finden, betete sie zum Aton. Wenn es dich wirklich gibt, dann verschaffe mir Gold. Zeig mir, wo es ist. Rette Ägypten.
Sobald ich
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